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Was der Azubi-Mindestlohn für die Wirtschaft bedeutet

Butter Lindner ist in Berlin und Hamburg bekannt für Feinkost. Doch auch die Lehrlinge werden neuerdings verwöhnt: Wer in einer der 45 Filialen eine Lindner-Lehre zum Einzelhandelskaufmann macht, erhält schon im ersten Jahr 1 000 Euro, im dritten sind es 1 200. Das ist weit über Tarif, wonach es je nach Jahr 770 bis 981 Euro sind. Die Großzügigkeit ist eine Folge der allgemeinen Misere in der Ausbildung: „Wir haben immer weniger und schlechtere Bewerbungen bekommen“, berichtet Franziska Peikert vom Lindner-Marketing. „Mit der höheren Vergütung wollen wir unsere Ausbildung attraktiver machen.“ Das funktioniere ganz gut: „Unsere 45 Azubis sind jedenfalls total happy.“

Auch die bundesweit tätige Einzelhandelskette Lidl bezahlt ihre 2 300 Azubis rund 20 Prozent über Tarif, um Bewerber anzulocken. Dazu komme die Aussicht, eines Tages eine Filiale leiten zu können, heißt es in beiden Betrieben.

Die GroKo verspricht allen Lehrlingen in Deutschland zwar nicht so viel wie bei Lindner und Lidl, aber immerhin einen gesetzlichen Mindestlohn. Der soll bis August beschlossen werden und dann am 1. Januar 2020 in Kraft treten.

Wie hoch die „Mindestvergütung“, wie sie offiziell heißt, sein soll, muss noch ausgefochten werden. Der DGB hat nun eine erste Forderung aufgestellt: Danach soll sich der Azubi-Mindestlohn auf 80 Prozent der durchschnittlichen tariflichen Vergütung belaufen. Das wären aktuell im ersten Jahr 635 Euro monatlich, im zweiten 696 und im dritten 768 Euro. Profitieren würden nach Angaben des DGB rund 160 000 Lehrlinge, die heute weniger erhalten – das wären etwa 12 Prozent der insgesamt 1,34 Millionen Azubis im Land. So erhält etwa ein Bäckerlehrling im 1. Jahr nur 500 Euro, Friseure sogar nur 406.

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„Wir kämpfen seit Jahren für mehr Wertschätzung der dualen Ausbildung. Diese darf sich aber nicht in Hochglanz-Imagekampagnen erschöpfen“, sagte DGB-Vizin Elke Hannack dem Handelsblatt. „Azubis sind künftige Fachkräfte, nicht billige Arbeitskräfte. Eine Mindestvergütung ist ein wirksames Instrument, um die Berufsbildung attraktiv zu machen.“

„Dort, wo die Vergütung besonders niedrig ist, sind die Abbrecherquoten extrem hoch“, sagt Hannack. Im Friseurhandwerk etwa starteten pro Jahr gut 10 000 Jugendliche ihre Ausbildung, aber nur gut 5 000 hielten bis zur Prüfung durch. „Viele steigen vorher aus, da sie mit der kargen Vergütung nicht über die Runden kommen. Damit ist weder Betrieben noch Jugendlichen geholfen. Eine Mindestvergütung für Azubis ist ein wirksames Instrument gegen Ausbildungsabbrüche“, so Hannack.

Der Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), Friedrich Hubert Esser, widerspricht: „Das ist zu einfach: Viele Auszubildende brechen ab, weil sie merken, dass der Beruf nicht der richtige ist, weil sie berufstypische Krankheiten bekommen oder weil schlicht die Chemie im Betrieb nicht stimmt.“ 

Esser warnt generell davor, „mit einer Mindestvergütung von den sonstigen Problemen der Berufsausbildung abzulenken“. Ebenso wichtig wie das Geld seien „die Qualität , die Ausstattung – auch in der Berufsschule –, die Chance auf Übernahme und Aufstiegsmöglichkeiten.“

Fast jeder zweite-Friseur-Azubi bricht ab

Der Zusammenhang Azubilohn und Abbruch ist zumindest nicht eindeutig: So brechen etwa von den Landwirten, die im ersten Jahr 611 Euro bekommen, nur 15 Prozent ab. Bei den Malern und Lackierern, die nur 11 Euro weniger in der Tasche haben, sind es dagegen mehr als 40 Prozent. Bei den Fleischern geben 39 Prozent vorzeitig auf, bei den Friseuren fast jeder Zweite, obwohl sie rund 100 Euro mehr bekommen.

Doch es geht nicht nur um den Tariflohn: Der DGB will vor allem den Azubis helfen, deren Betriebe nicht tarifgebunden sind und teilweise weit weniger zahlen. Wie groß die Gruppe ist und was sie zahlt, ist unklar. Das Berufsbildungsgesetz fordert eine „angemessene Vergütung“, nach Richterrecht sind 80 Prozent des Tariflohnes noch in Ordnung. Am liebsten sähe sowohl der DGB als auch das BIBB, wenn alle Betriebe nach Tarif zahlen würden. Doch angesichts der Tarifflucht müsse nun eben ein „Mindestmaß an Absicherung“ her, so der DGB-Beschluss.

Die Wirtschaft ist erwartungsgemäß gegen das Versprechen der GroKo. Vor allem das Handwerk fürchtet sogar Schaden für die Berufsausbildung. „Sollten Betriebe durch staatlich festgesetzte Mindestausbildungsvergütungen überfordert werden, würde sich das zwangsläufig negativ auf das äußerst breite Ausbildungsengagement gerade auch der kleineren Betriebe im Handwerk auswirken“, warnt der Generalsekretär des ZDH, Holger Schwannecke. Das würde den Fachkräftemangel verschärfen. Auch BIBB-Präsident Esser „kann nicht ausschließen, dass eine Mindestvergütung dazu führen könnte, dass insbesondere Klein- und Kleinstbetriebe weniger ausbilden“.

Skepsis kommt auch vom Industrie- und Handelskammertag (DIHK): In einigen Branchen könnte zumindest die Ausbildung über Bedarf zurückgehen, heißt es dort. Zudem locke schon heute jeder zehnte Betrieb Lehrlinge mit finanziellen oder materiellen Anreizen – vom Handy bis zum Auslandsaufenthalt. Persönlich will aber keiner der DIHK-Granden gegen den Azubi-Mindestlohn wettern. Das dürfte auch daran liegen, dass die Betriebe in Industrie und Handel seltener betroffen wären, weil die Tariflöhne dort im Schnitt höher sind. Selbst ein Verkäufer-Lehrling bekommt schon zu Beginn seiner zweijährigen Ausbildung 770 Euro im Monat.

Die Arbeitgeber warnen, dass ein Mindestlohn dazu führen könnten, „dass gerade Leistungsschwächere nicht mehr angemessen ausgebildet werden können“. Das könnte die 20 Prozent der Schulabgänger treffen, die nach den Pisa-Tests nicht mal die Mindestanforderungen erfüllen – aber auch die Flüchtlinge.

Alle Wirtschaftsverbände verweisen darauf, dass auch Eltern von Azubis voll kindergeldberechtigt sind. Um Lehrlinge, die nicht mehr zu Hause wohnen, besserzustellen, gibt es zudem die Berufsausbildungshilfe der Bundesagentur für Arbeit, erinnert Dirk Werner vom Institut der Deutschen Wirtschaft.

Allein im Jahr 2017 hat die BA 286 Millionen Euro für die Unterstützung der Lehrlinge ausgegeben, im Jahr zuvor waren es 290 Millionen. Pro Kopf und Monat kann das durchaus mehrere Hundert Euro ausmachen. Bei insgesamt knapp 95 000 Hilfeempfängern wären das im Schnitt gut 250 Euro im Monat pro Azubi.

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