1) Nein, die Wirtschaft ist nicht aus sich selbst moralisch, sondern sie wird zunehmend moralisiert.
Die Idee des aktuellen Kapitalismus war: Verantwortung geht über von natürlichen auf juristische Personen. Dies ermöglicht Wachstum bei vermindertem Risiko – deswegen sind diese Gesellschaften in der Haftung beschränkt oder limitiert.
Die Folge: Zu Beginn des 21. Jahrhunderts lagen in der Rangliste der größten 100 Ökonomien der Welt – gemessen an Umsatz beziehungsweise Staatseinnahmen – erstmals die Unternehmen leicht vorn. Und 2015 waren es bereits 69 Konzerne und nur noch 31 Staaten. Wäre Wal-Mart also ein Staat, wäre es wirtschaftlich betrachtet der zehntgrößte. Volkswagen auf Platz 22 liegt kurz vor Indien, Daimler auf Platz 40 direkt vor Dänemark.
Unsere Weltgesellschaft ist also eine Unternehmensgesellschaft geworden. Und die Welt muss es sich nun zur Aufgabe machen, die Unternehmensgesellschaften in die Haftung zu nehmen. Denn in dieser Form des Kapitalismus gilt noch immer die alte Regel der Betriebswirtschaft: „Internalisiere Erträge anderer und externalisiere Kosten an die Gesellschaft.“
Die Anspruchsgruppen wehren sich mit Moral und werben mit der Idee der „inklusiven Wirtschaft“ für eine bessere Gesellschaft oder für mehr Nachhaltigkeit.
2) Nein, Kunden und Wissenschaft reden zwar über „moralischen Konsum“, handeln aber nicht so.
Wir haben eine Moralisierung der Märkte für Kleidung, Nahrung, Mobilität erlebt, und weitere Märkte werden folgen. Medien, Konsumenten und Nichtregierungsorganisationen betreiben dieses Geschäft – kommunikativ. Manager reden wie auf dem Kirchentag. Das Silicon Valley arbeitet am Projekt Weltverbesserung mithilfe von Apps, Daten und Plattformen.
Aber: Es handelt sich um eine moralische Elitenkommunikation – und sie ist unaufrichtig. Zum Beispiel ist Mode nach wie vor vergänglich und Überkonsum ein Freizeitvergnügen. Biolebensmittel laufen zwar besser – aber vor allem beim Discounter. Fleisch aus Massentierhaltung bleibt beliebt – ungeachtet der Wasser-, CO2- und sonstigen negativen Bilanzen. Wir reden über Feinstaubalarm, überteuerten Parkraum, Staus und Software-Manipulationen. Wo? In den Zweitwagen-SUVs während der Parkplatzsuche oder auf dem Weg zur Rolltreppe ins Fitnessstudio. Moral produziert diese Paradoxien.
3) Nein, die Wirtschaft und deren Unternehmen kommen nur theoretisch aus der Moralphilosophie.
Mit dem frühesten Werk des Moralphilosophen Adam Smith, „Theorie der ethischen Gefühle“, fing die ökonomische Theorie bereits gut und gefühlig an. Auch mit dem späteren „Wohlstand der Nationen“ ist die Moral theoretischer Sehnsuchtsort geblieben. Heute manifestiert sich das in Corporate-Social-Responsibility-Abteilungen, Unternehmensstiftungen, vom Arbeitgeber ermöglichter Freiwilligenarbeit und dem Nachhaltigkeits- und Sozialmarketing. Aber die daraus folgenden Änderungen der Geschäftsmodelle stehen noch sehr am Anfang. Management von Organisationen heißt heute vor allem „Management der Moralisierung von Märkten“ – und doch muss das nicht folgenlos bleiben. Wer Geschichten der Nachhaltigkeit, des Re- und Upcyclings, der digitalen Substituierbarkeit erzählt, überzeugt damit nicht nur Kapitalgeber, Kunden und Medien – er spart auch Geld. Denn es ist auf Dauer billiger, sich gut, nachhaltig und sozial zu verhalten. Das ist wie bei guten Schuhen, Möbeln oder Fahrrädern. Geliehenes Erbe unserer Kinder.
Neben den romantischen Indikatoren der Maker und Craft Community gibt es dafür auch Indizien im Big Business, die wir gerade bei uns am Lehrstuhl analysieren: Profitorientierte Unternehmen kaufen Non-Profit-Unternehmen und ethische Marken – um besser zu werden. Wirtschaftlich. ---
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