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Das Ende der Öl-Party

Allein der Auftrag von Shell garantiert 50 Stellen bei Able UK. Für Teesside ist das erfreulich, jeder Job hilft. Allerdings sind 50 Arbeitsplätze beim Ausweiden ein Witz verglichen mit den Zehntausenden Stellen, die Nordsee-Förderer wegen des niedrigen Ölpreises gestrichen haben. Werden bald reihenweise Felder stillgelegt, fallen noch mehr Jobs weg. Able-UK-Manager Etherington warnt vor der Illusion, ein Abwrackboom könnte diese Verluste ausgleichen: "Politiker denken manchmal, das Abwickeln der Ölfelder werde Abertausende Stellen schaffen. Das ist nicht realistisch."

Eine Stadt im Königreich hat besonders gelitten unter dem Absturz des Preises und den Sparprogrammen: Aberdeen, gut 280 Kilometer nördlich des Abwrackhafens Seaton Port. Der Ort lebte früher vom Fischfang. Dann wurde 1970 in der Nähe Öl im Meeresgrund entdeckt. Manager aus Texas fielen in der schottischen Stadt ein, stilecht mit Cowboyhüten. Unternehmen wählten den Ort dank seiner Lage als Versorgungszentrum für die Plattformen aus; Förderfirmen und Zulieferer schufen Zehntausende Jobs und machten Aberdeen zu Europas Öl-Kapitale - und zu einer der reichsten Städte des Landes.

Jake Molloy kam Ende der Siebzigerjahre nach Aberdeen, weil er etwas vom Reichtum abhaben wollte. Der Schotte arbeitete auf Bohrinseln, auch im Brent-Feld, bevor er 1997 an Land zurückkehrte, um als Gewerkschafter für die Rechte der Offshore-Beschäftigten zu kämpfen. Der niedrigere Ölpreis beschert ihm nun viele Besucher: "Hier kommen ständig Leute wegen Kündigungen rein", sagt er. "Es herrscht Angst." Der 58-Jährige empfängt im Büro der Gewerkschaft RMT. Ein graues Haus in einer ebensolchen Straße. Aberdeen wird die Granitstadt genannt, da zahllose Gebäude aus dem grauen Stein bestehen. In der Nähe gab es einst Steinbrüche. An diesem Tag heben sich die Häuser kaum vom Grau des Himmels ab, der Wind ist eisig.

Die Stadtverwaltung will die Abhängigkeit vom Öl verringern - eine späte Einsicht

Die britische Nordsee - und damit Aberdeen - traf der Preisverfall 2014 besonders hart, denn die Region ist eines der teuersten Fördergebiete der Welt: Das Meer ist tief und rau, die verbleibenden Reserven sind oft klein. Die Ölkonzerne kappten Investitionen und Jobs, zudem zwangen sie Servicefirmen und Zulieferer, billiger zu werden. Diese strichen weitere Stellen. Die Produktionskosten halbierten sich seit 2014, bleiben aber vergleichsweise hoch.

Seit zwei Jahren legt der Ölpreis langsam wieder zu, ist jedoch weit entfernt von den 100 Dollar und mehr pro Fass, die früher erreicht wurden. Molloy erwartet darum kein baldiges Ende der Entlassungen in Aberdeen. Die Arbeitslosenquote in der einstigen Boomstadt mit 230 000 Einwohnern ist von einem sehr niedrigen Niveau aus kräftig gestiegen. Die Hauspreise sinken: Einige der gekündigten Offshore-Beschäftigten können sich die Hypothek nicht mehr leisten und müssen verkaufen. Auf einer Plattform verdiene ein angelernter Arbeiter zwischen 55 000 und 65 000 Euro im Jahr, sagt Molloy. Solche Leute finden meist einen neuen Job an Land, aber wohl kaum einen so gut bezahlten.

"Aberdeen ist immer noch reich", sagt Molloy, doch der Abschwung habe die Stadt verändert. Früher seien die Kneipen im Zentrum am Wochenende voll gewesen, nun sei es "sehr still". In Hotels habe es kaum freie Zimmer gegeben, vor Bürogebäuden kaum freie Parkplätze, dafür auf den Straßen ständig Staus. Das sei jetzt anders. Die Taxibranche leide ebenfalls.

Die Stadtverwaltung will die Abhängigkeit Aberdeens von der Ölförderung verringern - eine späte Einsicht. Die Kommune investiert in ein neues Messezentrum am Flughafen und in einen Hafen am Rande der Stadt, der 2020 eröffnet wird. Dieser Hafen wird mehr Tiefe und Lagerfläche haben als der Ankerplatz im Zentrum. Da das Wasser tiefer ist, sollen größere Kreuzfahrtschiffe anlegen können. Zudem soll es dann möglich sein, in Aberdeen Bohrinseln zum Abwracken anzulanden.

Bis alle Spuren beseitigt sind könnte es 40 Jahre dauern

Molloy glaubt allerdings nicht an eine Rückkehr der alten Boomzeiten. Und genau wie Abrissmanager Etherington glaubt er nicht, dass das Stilllegen von Feldern genügend Jobs schafft, um das Auslaufen der Förderung abzufedern. "Es ist immer die Rede von einer neuen Industrie, einer Goldgrube", sagt der Gewerkschafter spöttisch. Er rechne aber nur mit einigen Hundert Arbeitsplätzen im Königreich - auch weil sich heimische Entsorgungsfirmen schwer täten gegen norwegische Rivalen. Das skandinavische Land sei bei dem Thema weiter, klagt Molloy. Einige britische Plattformen wurden dort recycelt.

Fachleute gehen davon aus, dass es mindestens 40 Jahre dauern wird, bis die Produktion in der Nordsee komplett beendet ist und alle Spuren beseitigt sind. Im britischen Teil des Gewässers werden die Konzerne insgesamt 67 Milliarden Euro für die Stilllegung aufwenden müssen, schätzt die Aufsichtsbehörde Oil & Gas Authority. Zwischen 40 und 50 Prozent der Kosten können die Unternehmen mit ihrer Steuerlast verrechnen und sich so vom Fiskus zurückholen. Das große Aufräumen belastet also indirekt Staat und Bürger. Gewerkschafter Molloy fordert darum, Ölkonzerne zu zwingen, mit dem Abwracken britische Firmen und britische Beschäftigte zu beauftragen.

Der Schotte arbeitete zehn Jahre im Brent-Feld. Er spricht lebhaft über seine schönen Erinnerungen, über die Nordlichter, die er sah, die Wale und Delfine, Seeadler und Albatrosse; er redet von Kameradschaft, von Freundschaften. "Doch ich war auch 1988 auf der Brent Delta, als die Piper Alpha explodierte", sagt er. Bei dem Unglück auf der Nordsee-Bohrinsel starben 167 Menschen. Die Arbeit auf hoher See sei gefährlich, manchmal lebensgefährlich, sagt Molloy: "Aber es war eine gute Zeit." Für die Branche und ihre Beschäftigten kommt diese Zeit nicht mehr zurück.

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