Wenn Sie sich diesen Artikel vorlesen lassen wollen benutzen Sie den Accesskey + v, zum beenden können Sie den Accesskey + z benutzen.
16. September 2017 22:37 Uhr
Interview
Warum ist Wettbewerb für eine menschenwürdige Wirtschaftsordnung so wichtig? Der Freiburger Ökonom Viktor Vanberg erklärt, warum der Staat den Wettbewerb schützen muss.
Warum muss der Staat den Wettbewerb schützen? Für den Rechtsprofessor Franz Böhm (1895–1977) war diese Frage zentral für sein Lebenswerk. Dem Wegbereiter der deutschen Kartellgesetzgebung widmet das Walter-Eucken-Institut nun eine eigene Vorlesungsreihe. Warum es auch heute noch lohnt, sich mit Böhms Positionen auseinandersetzen, erklärt der Ökonom und Soziologe Viktor Vanberg, ehemaliger Leiter des Eucken-Instituts, im Gespräch mit Bernd Kramer.
BZ: Herr Professor Vanberg, was macht Franz Böhm so bedeutend, dass das Eucken-Institut eine neue Vorlesungsreihe unter seinem Namen ins Leben ruft?Vanberg: Franz Böhm und Walter Eucken (1891–1950) waren die wichtigsten Vertreter der Freiburger Schule (siehe Infobox). Man kann ihn auch als juristischen Gegenpart von Walter Eucken bezeichnen. Böhm hat in der deutschen Politik eine bedeutende Rolle gespielt. So hat er die Kartellgesetzgebung maßgeblich vorangetrieben und er wurde von Kanzler Adenauer (1876–1967) berufen, die Wiedergutmachungsverhandlungen mit Israel zu leiten. Dazu war er über drei Legislaturperioden Bundestagsabgeordneter.
BZ: Warum hat sich Franz Böhm so intensiv mit dem Wettbewerb in der Wirtschaft beschäftigt?
Vanberg: Böhm war als junger Jurist einige Jahre während der Weimarer Republik in der Kartellabteilung des Reichswirtschaftsministeriums tätig. Die Sichtweise auf Kartelle unterschied sich damals völlig von der heute. Sie war noch geprägt von einem Urteil des Reichsgerichts aus dem Jahr 1897. Ein Kartellmitglied wurde damals vom Kartell verklagt, nachdem das Kartellmitglied die vertraglich vereinbarten Kartellregeln unterlaufen hatte. Das Reichsgericht, damals Deutschlands höchstes Gericht, gab dem Kartell recht. Das Unternehmen, das sich den Kartellabsprachen widersetzte, musste eine Strafe zahlen. Kartellverträge waren somit gesetzeskonform. Damit konnten sich die Kartelle auf den Staat berufen, wenn es um ihre Interessen ging. Deutschland galt als Land der Kartelle.
BZ: Welche Schlussfolgerungen zog Böhm?
Vanberg: Böhm stellte sich gegen die vorherrschende Meinung. Aus seiner Sicht dienten Kartelle dazu, vom Verbraucher überhöhte Preise zu verlangen oder neue Wettbewerber vom Markt zu drängen. Sinn und Zweck einer Wirtschaftsordnung war aber nach Böhms Auffassung, dass sie dem Konsumenten dient. In Anlehnung an den schottischen Philosophen Adam Smith sagte er: Der Verbraucher soll an den Manualen der Wirtschaftsorgel sitzen. Von Böhm selbst stammt der Satz: Wettbewerb ist das genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte.
BZ: Wie hat Böhm den Wettbewerb schützen wollen?
Vanberg: Böhm und Professor Hans Großmann-Doerth (1894–1944), der ebenfalls ein wichtiger Vertreter der Freiburger Schule war, hatten erkannt, dass die Handlungen Einzelner, obwohl sie durch die Vertragsfreiheit abgedeckt waren, den Wettbewerb aushebeln konnten. Kartelle beruhten ja damals auf Absprachen einzelner Unternehmer, die vertraglich fixiert wurden. Um dies in Zukunft zu verhindern, forderten Böhm und seine Mitstreiter von der Freiburger Schule, dass die Entscheidung für eine Marktwirtschaft und damit auch für Wettbewerb Verfassungsrang haben sollte. Sie sollten zu jenen Spielregeln einer Gesellschaft gehören, an denen schwer zu rütteln ist, und die das Zusammenleben der Menschen grundsätzlich leiten.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Gründung des Kartellamtes zu sehen. Es sollte eine eigene staatliche Behörde geben, die sich dem Schutz des Wettbewerbs widmet und auch Strafen verhängen kann. Wettbewerb kommt nicht von selbst. Bildhaft gesagt: Böhm wollte nicht, dass die Spieler zweier Fußballmannschaften während des Spiels die Möglichkeit haben, die Spielregeln zu unterlaufen. Es braucht einen starken Schiedsrichter, der für die Einhaltung der Regeln sorgt.
BZ: Inwieweit haben sich die Vorstellungen Böhms und seiner Freiburger Mitstreiter in der Kartellgesetzgebung niedergeschlagen?
Kartellgesetz nicht zufrieden
Dieses Gesetz war ein Kompromiss mit vielerlei Ausnahmen und es enthielt auch die bis heute gültige Ministererlaubnis. Sie hat der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel bekanntlich 2016 genutzt, um Edeka die umstrittene Übernahme von Kaiser’s-Tengelmann-Märkten zu erlauben. Böhm selbst war von dem Gesetz enttäuscht. Er wollte nicht, dass der Wettbewerb Zweckmäßigkeitsüberlegungen wie dem Schutz von Arbeitsplätzen geopfert werden konnte. Andererseits war Böhm auch froh darüber, dass es überhaupt ein Gesetz gab, das wesentliche Teile seiner Position enthielt. Der Umgang der EU-Kommission mit Wettbewerbsfragen ist heute noch vom deutschen Kartellgesetz geprägt.
BZ: Ist die Kartellgesetzgebung heute noch zeitgemäß?
Vanberg: Schon zu Lebzeiten von Böhm gab es grenzüberschreitenden Handel und die weltweite Vernetzung von Unternehmen, aber die Globalisierung hat die Verhältnisse stark verändert. Unternehmen konkurrieren heute oft auf dem Weltmarkt. Das sollte man bei der Betrachtung von Fusionen nicht außer Acht lassen. Wer national ein Riese ist, kann auf dem Weltmarkt ein kleiner Spieler sein. Bei Kartellen darf es dagegen kein Pardon geben. Trotzdem muss man sich fragen: Was ist eine auch nach dem Kartellgesetz zulässige Kooperation? Die Zusammenarbeit von kleinen Unternehmen beim Einkauf kann ja dazu beitragen, den Wettbewerb zu erhalten, weil sich die Kleinen so jene Einkaufspreise sichern können, die ansonsten nur den Großen der Branche vorbehalten wären.
BZ: Heute verfügen Google oder Facebook über eine Unmenge von Daten ihrer Nutzer. Daten gelten als Rohstoff für vielfältige Anwendungen, mit denen sich ein Haufen Geld verdienen lässt. Man denke nur an auf Nutzer zugeschnittene Werbung. Müssten die Kartellbehörden hier nicht sagen: "Zerschlagt die Riesen!"?
Vanberg: Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Man kann auch die Position vertreten, dass Google oder Facebook derzeit keinem Verbraucher schaden. Beide Unternehmen stellen ihren Nutzern ihre Leistungen kostenlos zur Verfügung. Zudem laufen sie stets Gefahr, dass der technische Fortschritt ihrem Erfolg ein schnelles Ende bereitet. Nehmen Sie das Beispiel Microsoft. Wegen des Siegeszuges von Handys oder Tablets hat die Bedeutung der Microsoft-Betriebssysteme erheblich abgenommen. Also: Wieso aufregen? Andererseits besteht natürlich die Gefahr, dass diese Unternehmen ihre jetzige Stellung ausnutzen, um beispielsweise bei der Werbung Wettbewerb zu untergraben. Facebook und Google sind in gewisser Weise auch Medienunternehmen. Deshalb stellt sich die Frage: Haben sie zu viel politische Macht?
BZ: Den Vertretern der Freiburger Schule wird der Vorwurf gemacht, dass sie viel zu spät ihren Widerstand gegen den Nationalsozialismus bekundet haben.
Vanberg: Es ist einfach zu sagen, man hätte unter den damaligen, extrem schwierigen Umständen mehr tun müssen. Franz Böhm ist schon Anfang der 30er-Jahre gegen die Diskriminierung von Juden eingetreten. Die Nazis entzogen ihm deshalb 1937 die Lehrbefugnis. Als er in Freiburg Nachfolger des 1944 verstorbenen Großmann-Doerth werden sollte, stellte sich das Wissenschaftsministerium erneut dagegen. Seine Weltanschauung gefiel nicht.
Die erste Franz-Böhm-Vorlesung findet am Dienstag, 19. September, um 18.30 Uhr im Haus zur Lieben Hand der Freiburger Uni statt. Den Vortrag "Wettbewerb in der Privatrechtsgesellschaft" hält der Böhm-Schüler Professor Ernst-Joachim Mestmäcker, langjähriger Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht. Viktor Vanberg (74) leitete von 2001 bis 2009 das Freiburger Walter-Eucken Institut. Von 1995 bis 2009 war er Professor für Wirtschaftspolitik an der Uni Freiburg.
Die Freiburger Schule gilt als der Ideengeber für die soziale Marktwirtschaft – der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik. Zu den Kernforderungen der Freiburger gehörten neben dem Schutz des Wettbewerbs, Preisstabilität und eine stetige und verlässliche Wirtschaftspolitik, von der Produzenten und Verbraucher nicht überrascht werden. Als wichtig hielten die Wissenschaftler um Eucken auch offene Märkte. Darunter fällt die freie Wahl des Berufes. Typisch liberal war ihr Pochen auf Vertragsfreiheit, also die Möglichkeit, die unterschiedlichsten Verträge untereinander abschließen zu können. Allerdings hat diese Freiheit Grenzen – wenn es zum Beispiel um die Bildung von Kartellen geht. Eucken hat sich auch immer wieder für das Haftungsprinzip starkgemacht. Jeder muss letztlich für das geradestehen, was er auch tut. In der Diskussion um die Ursachen der Finanzkrise rückte dieses Prinzip wieder stärker in den Blick der Öffentlichkeit. Weil Banken sichergehen konnten, dass sie vom Staat in Notsituationen gerettet werden, gingen sie übermäßige Risiken ein. Neue Regeln sollen nun dafür sorgen, dass Aktionäre und Gläubiger stärker in Haftung genommen werden, wenn es schiefläuft.
Autor: Bernd Kramer
: http://ift.tt/2jAdZPZBagikan Berita Ini
0 Response to "Darum sind Kartelle so schädlich für die Wirtschaft"
Post a Comment