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Warum steigen unsere Löhne nicht mehr?

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8/20/2017

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Hei ru yu na mi ta yu re Warum steigen unsere Löhne nicht mehr?

Gewerkschaften hatten es noch nie leicht. Entweder sie pressen den Arbeitgebern zu hohe Löhne ab. Dann sind sie böse, weil sie steigende Arbeitslosigkeit zu verantworten haben. Oder aber ihre Lohnabschlüsse sind zu niedrig. Dann ist es auch nicht recht. Weil ihre Mitglieder sich ungerecht behandelt fühlen und fragen, ob der Gewerkschaftsbeitrag gut investiert ist.

So war die Welt bis zur Finanzkrise. Der Arbeiter galt als „vernünftig“, wenn er Maß zu halten verstand. Spielte er dagegen seine lohnpolitische Macht aggressiv aus, wurde er von der Mehrheit der Ökonomen (an vorderste Stelle von den Ökonomen der Deutschen Bundesbank) gescholten: Das führe zu Inflation, müsse eine restriktive Geldpolitik nach sich ziehen – und am Ende also Arbeitslosigkeit.

Heute aber herrscht in weiten Teilen Deutschlands nahezu Vollbeschäftigung. Bis zur Jahresmitte hatten die Unternehmen mit 1,1 Millionen Jobs mehr Arbeitsplätze zu besetzen als je zuvor, und die Arbeitslosigkeit könnte schon bald auf unter 2,3 Millionen sinken, was ein neuer Tiefstand wäre: Es gab vor nicht allzu langer Zeit schon einmal fünf Millionen Arbeitslose. Und auch von Inflation ist heute weit und breit nichts zu sehen. Sollte man da nicht erwarten, dass die Arbeitnehmer beim Lohn gefahrlos ordentlich zulangen können?

Ökonomen kann man es nie recht machen

Sollte man. Aber sie tun es nicht. Und Ökonomen und Notenbanker prügeln schon wieder auf die Gewerkschaften ein, aber – historisch ziemlich einmalig – weil sie zu niedrige Löhne vereinbaren. Kurzum: Den Ökonomen kann man es nie recht machen, und die Gewerkschaften bleiben immer die Bösen. EZB-Präsident Mario Draghi (weniger vollmundig sein deutscher Kollege Jens Weidmann) findet, was seine marktflutende Geldpolitik nicht schaffe, nämlich ein Inflationsziel von „nahe bei zwei Prozent“ zu erreichen, müsse ein kräftiger Einkommenszuwachs bewirken. Unterstützung erhalten die Zentralbanker vom Internationalen Währungsfonds, der den Deutschen aggressive Löhne zum Abbau des weltweit verhassten Leistungsbilanzüberschusses und zur Stärkung der Binnennachfrage empfiehlt. Der öffentliche Dienst habe Vorreiter zu sein, fordert Peter Bofinger, Mitglied im Sachverständigenrat, und schilt die Gewerkschaft Verdi für ihr mageres Tarifergebnis von gerade einmal zwei Prozent. Mindestens drei Prozent wären ökonomisch drin gewesen, findet Ökonom Bofinger: „Ich verstehe Verdi-Chef Bsirske nicht.“

Verkehrte Welt allenthalben. Je höher die Arbeitslosigkeit, desto niedriger die Löhne, je besser die Beschäftigung, desto höher die Löhne: So lautet eines der ehernen Gesetze der Ökonomie, das der britische Statistiker Alban Philips im Jahr 1958 mit seiner berühmten „Philips-Kurve“ abbildete. Jetzt scheint das Gesetz plötzlich außer Kraft gesetzt, und das Wort vom „Lohnparadox“ macht die Runde. Sieht man genauer hin, so zeigt sich, dass nach einer langen Flaute hierzulande die Löhne zwar tatsächlich wieder stärker steigen (nominal um 2,2 Prozent zwischen 2008 und 2016). Aber es bleibt dabei: Die Löhne steigen in geringerem Ausmaß als in früheren Zeiten rückläufiger Arbeitslosigkeit, wie der Würzburger Ökonom Norbert Berthold auf seinem Blog „Wirtschaftlichefreiheit.de“ dieser Tagen notiert. „Sehr verhalten“ sei das Lohnwachstum, so lautet international der Konsens. „Auf historisch niedrigem Niveau“ sei die Lohnänderungsrate im Euroraum, heißt es aus der EZB. Und die Weisen wiegen den Kopf und verstehen die Welt nicht mehr.

Der Produktivität ging es schon einmal besser

Dass Aufrufe an die Arbeitnehmer, sich mehr Geld zu holen, etwas bewirken, darf mit guten Gründen bezweifelt werden. Will man am Ende nämlich doch etwas verstehen, muss man den Blick historisch weiten und, statt nur auf die Löhne zu starren, sich der Produktivität zuwenden. Dann zeigt es sich, dass die Verlangsamung des Lohnanstiegs ein säkularer Prozess ist, der sich nicht von heute auf morgen umkehren lässt.

Produktivität gibt das Verhältnis des Arbeitsvolumens zu den dafür benötigten Arbeitsstunden an. Schafft es ein Autohersteller, 750 statt bisher 500 Autos in einer Stunde vom Band zu lassen, hat sich die Produktivität um fünfzig Prozent verbessert. Zwischen der Entwicklung der Arbeitsproduktivität und dem materiellen Wohlstand einer Volkswirtschaft besteht ein enger Zusammenhang: Schwächelt die Produktivität, mindert sich im selben Maße auch der Spielraum des den Arbeitnehmern zur Verfügung stehenden zusätzlichen Einkommens. Produktivität und Lohnentwicklung verlaufen im langfristigen Vergleich ziemlich synchron.

Und der Produktivität ging es auch schon einmal besser als heute. Grob gesagt, lassen sich drei Phasen einteilen: Von Adam und Eva bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts hat sich gar nichts getan, besseres Wirtschaftswachstum wurde stets von der Demographie aufgefressen. Dann kam die Industrialisierung, und die Lage der Arbeiterschaft (und natürlich auch aller anderen Menschen) verbesserte sich dramatisch. Ihren Höhepunkt erreichte die Produktivitätsverbesserung weltweit in den goldenen Jahren der Nachkriegszeit, was man in dem Bestseller des amerikanischen Ökonomen Robert Gordon „The Rise and Fall of American Growth“, 2016, nachlesen kann. Die fünfziger und sechziger Jahre sind die Jahre des „Wirtschaftswunders“, nicht nur hier, auch in Amerika: Jetzt endlich hatten sich viele Erfindungen des späten 19. Jahrhunderts breit durchgesetzt. Die Familien der Mittelschichten deckten sich mit Autos, Fernsehern, Waschmaschinen und Kühlschränken ein. Die Arbeitsbedingungen zuhause und im Beruf verbesserten sich. Nie mehr vorher – und nie mehr später! – stiegen die Löhne so sehr an wie in diesen schönen Nachkriegsdekaden.

Die Macht der Gewerkschaften schwindet

Von nun an (seit den fünfziger Jahren) ging es bergab. Fakt ist: Die Produktivität schwächelt, dementsprechend auch die Lohnentwicklung, denn der Verteilungsspielraum schrumpft. Woran das liegt, ist unklar. Gibt es eine Sättigung der Bedürfnisse? Erlahmt der Erfindergeist in der Wirtschaft? Keine Frage: Die Erfindungen der ersten und zweiten industriellen Revolution hatten eine immense Wirkung für den Wohlstand der Völker. Nennenswerte Effekte der digitalen Revolution sind, allen Aufplusterungen zum Trotz, in den Produktivitätsstatistiken (noch) nicht zu sehen.

Dass die Löhne so bescheiden steigen, hat aber noch weitere Gründe. Zwar folgt die Lohnentwicklung der Produktivität. Wie viel von diesem Spielraum die Arbeitnehmer für sich rausholen, liegt aber an ihrer Verhandlungsmacht, die wiederum (auch) an die Beschäftigungssituation gekoppelt ist. Dabei zeigt sich: Es schwächelt nicht nur die Lohnentwicklung, sondern auch die Tarifmacht der Gewerkschaften. Seit den achtziger Jahren geht der Grad gewerkschaftlicher Organisation kontinuierlich in fast allen Industrieländern zurück. Waren nach OECD-Zählung im Jahr 1985 dreißig Prozent der Arbeitnehmer Mitglieder einer Gewerkschaft, so sind es heute nur noch 17 Prozent. Der einzelne Arbeitnehmer hat gegenüber seinem Boss eine schwächere Verhandlungsposition, zumal die Arbeitgeber in Zeiten der Globalisierung international an andere Standorte ausweichen können, wo sie womöglich besser und billiger Arbeiter finden. Das könnte ein weiterer Grund sein, warum die annähernde Vollbeschäftigung in einer globalisierten Welt keinen stärkeren Lohndruck ausübt.

Dass die Macht der Arbeitnehmer im Schwinden ist und die der Konzerne zunimmt, zeigt sich schließlich auch in der sogenannten Lohnquote. Lange Zeit galt es als „eine Art Wunder“ (John Maynard Keynes), dass den Arbeitnehmern etwa zwei Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung zufließen, den Eigentümern des Kapitals dagegen ein Drittel. Seit etwa drei Jahrzehnten sinkt der Anteil der Arbeitnehmer: Im Amerika liegt die Lohnquote inzwischen bei unter 60 Prozent. In Deutschland ging sie von 74 auf heute etwa 66 Prozent zurück.

Der Gewinner bekommt alles

Auch bei der fallenden Lohnquote streiten die Ökonomen erbittert über die Gründe. Eine besonders prominente – aber auch deprimierende – Erklärung kommt von einer Gruppe junger MIT-Ökonomen um David Autor und David Dorn, der heute an der Universität Zürich lehrt. Sie beobachten weltweit und in vielen Branchen eine Konzentration auf wenige „Superstar-Firmen“. Dabei muss man nicht nur an Google und Amazon denken, sondern auch etwa an Walmart im Handel. Große Konzerne zahlen zwar bessere Löhne als kleine Mittelständler, sie tendieren aber auch dazu, höhere Gewinne vor allem an die Kapitaleigener auszuschütten. „The Winner takes it all“ nennt sich dieses asymmetrische Verteilungsprinzip: „Der Gewinner bekommt alles.“ Gewinner ist offensichtlich das Kapital – der erfolgreiche Unternehmer oder Aktionär.

„Für Arbeitnehmer sieht es düster aus“, findet Wirtschaftsforscher David Dorn: Das zu verteilende Geld wächst langsamer als früher, und der Anteil, den die Beschäftigten davon erhalten, sinkt seit den achtziger Jahren. Die Botschaft am Ende ist paradox. Noch nie in der Geschichte ging es den Arbeitnehmern absolut so gut wie heute. Aber auch noch nie seit den fünfziger Jahren ging es ihnen relativ so schlecht wie heute.

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