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Der Liberalismus bekommt wieder eine Chance

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8/26/2017

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Hei ru yu na mi ta yu re Der Liberalismus bekommt wieder eine Chance

Ein malerisches Schloss aus hellroten Backsteinen und schneeweißen Fenstern. Davor ein leuchtend grüner Rasen in einem weitläufigen Park, der England alle Ehre machen würde. Den Vordergrund dominiert ein Reiterstandbild von Wilhelm, dem Eroberer. Die normannische Kultfigur hat allerdings keine Arme mehr, kein Gesicht und nur ein Bein. Es ist eine moderne Skulptur, geschaffen vom Schlossherrn, Jean-Marc de Pas. Der 54 Jahre alte Bildhauer hat das Glück, das idyllische Château de Bois-Guilbert bei Rouen in der Normandie schon in jungen Jahren aus dem Familienbesitz geerbt zu haben. Er hat daraus ein lebendiges Freilichtmuseum für die Verschmelzung von Kunst und Natur gemacht. De Pas lebt und arbeitet hier mit seiner Frau Stéphanie, hier veranstalten sie Skulpturen-Ausstellungen und Konzerte, empfangen Kunstinteressierte und vermieten ihre Anwesen an Gruppen und Unternehmen für verschiedene Anlässe.

Weniger bekannt ist, wer vor langer Zeit der Vorbesitzer war: Pierre le Pensant de Boisguilbert (1646–1714), ein direkter Vorfahre des Bildhauers. In ganz Frankreich ist der Mann kaum bekannt und jenseits seiner Grenzen erst recht nicht. Dabei war Boisguilbert einer der wichtigsten Vordenker der Ökonomie und einer der ganz frühen Wirtschaftsliberalen, lange Zeit vor Adam Smith. Karl Marx, der die Wirtschaftsgeschichte bestens kannte, bezeichnete den Franzosen zusammen mit dem Engländer Sir William Petty als Mitbegründer der klassischen politischen Ökonomie. „Boisguilbert ist heute ein sehr vernachlässigter Ökonom, besonders in der englischsprachigen Welt. Keine seiner wirtschaftlichen Arbeiten wurde ins Englische übersetzt, und nur wenige Arbeiten über die Volkswirtschaftslehre erwähnen ihn überhaupt“, bedauerte auch der Wirtschaftshistoriker Peter Groenewegen.

Frankreich hat den Ruf, schon immer auf das Modell einer staatlich organisierten Volkswirtschaft gesetzt zu haben. Der umtriebige Minister Jean-Baptiste Colbert (1619–1683) des Sonnenkönigs Ludwig XIV. legte die Wurzeln für diesen Ansatz. Er modernisierte den französischen Staat, erweiterte und verschärfte die Regulierung, gründete Manufakturen und trieb so die französische Version des Merkantilismus voran, die den Export auf Kosten der Nachbarländer in den Vordergrund stellte. Die strikte Hierarchie unter der Allmacht des absolutistischen Königs ließ den Einzelnen wenige Freiräume. Mit der Französischen Revolution endete die starre Ständeordnung, doch die Philosophie des Gesellschaftsvertrages von Jean-Jacques Rousseau legte eine neue Grundlage für die starke Rolle des Staates. Von Beginn des 20. Jahrhunderts an sorgten zudem Kommunisten, Sozialisten, die Gewerkschaftsbewegung und später der Gaullismus für eine weitreichende Abkehr vom Liberalismus.

Immer wieder siegreiche Momente für den Liberalismus

Liberale Epochen gab es jedoch immer wieder. Das 19. Jahrhundert war auch in Frankreich weitgehend eine Zeit des freien Wirtschaftens. Als Bismarck in Deutschland eine landesweite Sozialversicherung einführte, lehnten dies die Franzosen zunächst ab, weil sie an ihren zahlreichen Genossenschaften festhalten wollten. „Der deutschen Rasse die autoritäre Lösung, die auf dem Staatssozialismus fußt, der romanischen Rasse die liberale Lösung, die auf dem Teilen und der Freiheit beruht“, schrieb Emile Cheysson, der Direktor der französischen Hüttenwerke Schneider Ende des 19. Jahrhunderts. Auch später hatte der Liberalismus immer wieder siegreiche Momente, etwa 1958, als der Ökonom Jacques Rueff, ein Mitbegründer der liberalen Mont-Pèlerin-Gesellschaft, Präsident Charles de Gaulle von einem beherzten makroökonomischen Reformprogramm überzeugte. Zwischen 1986 und 1988 privatisierte die bürgerliche Regierung unter dem sozialistischen Präsidenten François Mitterrand Dutzende von Unternehmen, senkte Steuern und trieb die Deregulierung voran.

Für diese liberalen Lichtblitze gibt es wichtige Vordenker. Sie tragen Namen wie Boisguilbert, de Gournay, Turgot, Bastiat und Tocqueville. Frankreich blickt auf eine lange Tradition des wirtschaftsliberalen Denkens und teilweise auch des Handelns. Es erinnert sich nur kaum jemand daran. Die verbreitete Annahme, den Wirtschaftsliberalismus hätten schottische und englische Denker erfunden wie Adam Smith, David Hume und John Locke, ist unvollständig. Die französische Vorliebe für wirtschaftliche Freiheit ist ja auch nicht überraschend, wenn man sich an große liberale Leistungen wie die erste Hälfte der Französischen Revolution erinnert. Politische und wirtschaftliche Befreiung gingen damals Hand in Hand.

Adam Smith lernte in den Debatten der Pariser Salons

Fast hundert Jahre zuvor hatte Boisguilbert wichtige Vorarbeiten für die Idee der freien Preisbildung, der Senkung von Handelsschranken und der allgemeinen staatlichen Zurückhaltung geleistet. Von seinem großen Anwesen aus sowie in der weiteren Region um Rouen hat er sie teilweise umzusetzen versucht. Seine Plädoyers bei verschiedenen Finanzministern des Sonnenkönigs blieben zwar erfolglos, doch Boisguilberts Veröffentlichungen erzielten Wirkung. Adam Smith, der Bücher von ihm in seiner Bibliothek stehen hatte, ließ sich später davon wahrscheinlich inspirieren. Auf einer fast zweijährigen Reise durch Frankreich erhielt Smith entscheidende Anregungen, etwa in den freimütigen Debatten der Pariser Salons. Er traf dort mit François Quesnay zusammen, der die Schule der Physiokraten gegründet hatte. Der Franzose, ein Arzt, hatte erstmals ein in sich geschlossenes volkswirtschaftliches Konzept vorgelegt. Er forderte, staatliche Eingriffe in das Wirtschaften auf ein Minimum zu begrenzen und Privateigentum an den Produktionsmitteln zu fördern. Die Ideen der Physiokraten, die sich auch „les Economistes“ nannten, waren eine scharfe Kritik am dirigistischen Colbertismus.

Der heutige Schlossbesitzer, der Bildhauer Jean-Marc de Pas und seine Frau Stéphanie, vor dem Château de Bois-Guilbert in der Normandie. Er ist ein direkter Nachfahre des Ökonomen Pierre Le Pensant de Boisguilbert (1646 bis 1714). Aus dem Schlosspark hat er einen Skulpturengarten gemacht, in dem er seine Werke und die anderer Künstler ausstellt.

Anne Robert Jacques Turgot, der Baron de l’Aulne (1727–1781), war ebenfalls ein einflussreicher Gesprächspartner Smiths. Turgot war nicht nur ein innovativer liberaler Autor, sondern setzte als Verwalter der Provinz Limousin auch einen Teil seiner Ideen erfolgreich in die Tat um, selbst wenn er später als kurzzeitiger Finanzminister von Ludwig XVI. scheiterte.

Laissez-faire, laissez-passer

Im 19. Jahrhundert wirkten in Frankreich dann wichtige liberale Ökonomen wie Jean-Baptiste Say (Saysches Theorem) oder Frédéric Bastiat. De Gournay prägte den Ausruf: „Laissez-faire, laissez-passer“. Die französische Zeitschrift „Journal des Economistes“ wurde eine Bibel für liberale Ökonomen. Alexis de Tocqueville schrieb nicht nur über die Demokratie in Amerika, sondern kämpfte auch für individuelle Freiheit, politische Gleichheitsrechte und Dezentralisierung.

Hier die Vorderansicht des Schlosses mit der Skulptur von Jean-Marc de Pas William, dem Eroberer.

Mit der Zeit, vor allem im 20. Jahrhundert, ging diese Tradition jedoch verloren. Die Gelehrten von heute nennen dafür eine Vielzahl von Gründen. Jean-Marc Daniel, Wirtschaftsprofessor an der von dem Ökonomen Say mitgegründeten Hochschule ESCP Europe, sieht drei Gegenkräfte: „Die französischen Liberalen werden nur mit Frankreichs Ruhm des 18. Jahrhunderts gleichgesetzt. Seither hat sich die Wirtschaft völlig verändert. Sie gelten also nicht mehr als zeitgemäß. Die Schule der Physiokraten wird zudem allein auf die Verteidigung der Landwirtschaft reduziert, obwohl sie auch ein starker Befürworter von Wettbewerb war.“ Die Dominanz des britischen Königreiches im 19. Jahrhundert führte obendrein dazu, dass die britischen Liberalen zur dominanten Schule wurden. „Bewusst oder unbewusst wurden die französischen Liberalen beschuldigt, englische Agenten zu sein“, berichtet Daniel.

Die Rückseite des Schlosses

Im 20. Jahrhundert gewannen die Antiliberalen vor allem in der Periode zwischen 1936 und 1946 Oberhand, als zuerst die linke Volksfront-Regierung per Wahl an die Macht gelangte und dann 1940 die Besetzung durch die Deutschen erfolgte. Die Kommunisten eroberten durch ihren Kampf in der Résistance die Herzen vieler Franzosen. „Von 1946 an setzten sich Denkschemata durch, besonders bei den Intellektuellen, die im besten Fall die liberale Vergangenheit Frankreichs ignorierten oder sie im schlimmsten Fall lächerlich machten“, so Daniel.

Ein Umdenken ist nicht zu leugnen

Heute, 70 Jahre später, sind diese historischen Spuren weitgehend im Sand verlaufen. Eine neue Generation von Denkern ist herangewachsen, inspiriert unter anderem von der Start-up-Bewegung. Gaspard Koenig etwa schrieb früher für die Finanzministerin Christine Lagarde Reden und arbeitete bei der Osteuropa-Bank in London, heute lehrt er Philosophie und leitet den Thinktank „Génération libre“. Der 36 Jahre alte Sohn eines Ehepaars von Literaturkritikern ist in Paris ein gefragter Redner und Debattenteilnehmer. Er erzählt, wie er in seiner intensiven akademischen Bildungskarriere in Frankreich mit allen möglichen „Ismen“ konfrontiert wurde: Materialismus, Stoizismus, Empirismus, Rationalismus, Marxismus, Anarchismus, Strukturalismus, Postmodernismus – nur nicht mit dem Liberalismus. „Erst in einem Studienjahr an der Columbia-Universität in New York entdeckte ich Condillac, Say, Biran, Constant, Tocqueville, Bastiat, Aron, Revel und Boudon“, berichtet Koenig.

Aus dem Inneren des Schlosses.

Die Abkehr vom Liberalismus sei nicht zuletzt daraus entstanden, dass die Intellektuellen den französischen Philosophen Michel Foucault falsch verstanden hätten. Zudem präge die Akademiker grundsätzlich eine antiliberale Haltung, weil die vom Liberalismus geforderten Marktprozesse ihnen aus ihrer Sicht eine unangemessene Vergütung zukommen ließen. Dennoch ist ein Wandel in Frankreich nicht zu leugnen. Intellektuelle wie Koenig tauchten früher in den Debatten fast gar nicht auf. Agnès Verdier-Molinié, die Tochter einer Winzerfamilie aus Bordeaux, gehört mit ihrem Thinktank Ifrap (Institut français de recherche sur les administrations publiques) in die gleiche liberale Bande. Vor einigen Jahren wurde sie in der Szene der Politikberater noch wie eine Aussätzige behandelt, denn ihre Vorschläge zur Reform des öffentlichen Dienstes galten als zu radikal. Heute füllt sie bei ihren öffentlichen Auftritten ganze Hallen und ziert bei einigen Magazinen die Titelseiten.

Eine neue Chance für den Liberalismus

Der gescheiterte Präsidentschaftskandidat François Fillon sagte schon im Juni 2014 auf einer Konferenz zum Gedenken an Margaret Thatcher: „Das französische Volk ist dabei, liberal zu werden“, denn es sehe keinen anderen Ausweg aus Reformstau, Vorschriftenflut sowie Abgabenlast. So weit gehen heute wenige, zumal im Präsidentschaftswahlkampf die antiliberalen Kräfte erhebliche Stimmgewichte erzielten. Doch durchgesetzt hat sich mit Emmanuel Macron ein pragmatischer Politiker-Typus, der mit dem Liberalismus keine Probleme hat, auch wenn ein Teil seines Handelns gleichzeitig dirigistische Züge enthält.

Eine Skulptur nach dem Großvater des Bildhauers Jean-Marc de Pas.

So bekommt der Liberalismus in Frankreich nun zumindest wieder eine Chance. Der Ökonom Daniel hält sein Wiederaufleben in Frankreich für unvermeidlich. „Daher sind die Antiliberalen vor allem in der Universitätswelt so verbissen geworden. Sie wollen ein akademisches System aufrechterhalten, das ihre Privilegien erhält.“

Die Erinnerung an den französischen Frühliberalen Boisguilbert könnte von diesem Umdenken profitieren. Der pensionierte Manager Jean-Luc de Feuardent renoviert mit seiner Frau derzeit ein anderes Schloss, das der große Denker einst bewohnte: das Château de Pinterville, das ebenfalls in der Normandie liegt. Dort veranstaltet er Seminare, Konferenzen und Führungen.

Ein anderes Schloss, ebenfalls in der Normandie gelegen, 45 Autominuten vom Château de Boisguilbert entfernt. Es ist das Château de Pinterville, in dem der Ökonom Boisguilbert viele Jahre lebte. Das Foto zeigt die Eigentümer Jean-Luc de Feuardent und seine Frau.

„Ich versuche dabei, das in Frankreich weitverbreitete Vorurteil zu widerlegen, der Liberalismus sei ein Konzept zur Verteidigung der multinationalen Konzerne. Dabei geht es doch nur darum, dass jeder sein eigenes Schicksal in die Hand nehmen darf“, erzählt der 73 Jahre alte Franzose. Und er fügt hinzu: „Lange Zeit hatten die Liberalen in Frankreich einen schlechten Ruf. Doch so langsam ändert sich das.“

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