Berlin. Am Sonntag wird der gebürtige Münchner Dieter Kempf die weltweit bedeutendste Industriemesse in Hannover eröffnen. Davor hat Kempf, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) gesprochen. Es geht um den Start der GroKo, den Diesel und Europa. Aber natürlich auch um Donald Trump. Denn Partnerland der Hannover Messe ist dieses Jahr – passender könnte es kaum sein – Mexiko.
Herr Kempf, sind Sie eigentlich ein Pessimist oder eher ein Optimist?
Ich bin Berufsoptimist.
In der Welt herrscht eine Unruhe, wie es sie lange nicht gab. Die Wirtschaftspolitik beschäftigt sich derzeit mit Strafzöllen und neue Handelskriegen. Da kann man leicht zum Pessimisten werden, oder?
Tatsächlich hören wir im Augenblick nicht nur frohe Botschaften. Für mich bleibt überraschend, wie sehr sich der Wind beim Thema Freihandel innerhalb von 16 Monaten gedreht hat. Das ist für uns als Handelsnation brandgefährlich. Aber für mich ist es noch kein Grund für Pessimismus.
Angela Merkel reist kommende Woche nach Washington. Was erwarten Sie von ihrem Besuch bei Donald Trump?
Die Kanzlerin wird versuchen, den amerikanischen Präsidenten zu überzeugen, dass man den Zollstreit nur gemeinsam lösen kann. Freihandel bringt Wohlstand. Mit höheren oder neuen Zöllen lässt sich die eigene Wirtschaft zwar konservieren, aber nicht wettbewerbsfähig halten.
Wie kann der Konflikt gelöst werden?
Im Gespräch bleiben. Es ist falsch, wie Trump es macht, immer nur einzelne Zollsätze in den Blick zu nehmen – etwa die für Pkw. Das ist Klein-Klein. Die amerikanische Automobilindustrie wird nur erfolgreich sein mit den besten Zuliefererteilen der Welt – zum Beispiel aus Deutschland. Viele unserer Unternehmen produzieren auch in den USA. Als Präsident muss er doch das große Ganze im Blick behalten. Ich bleibe zuversichtlich, dass eine Lösung möglich ist.
Gilt das auch für China?
Die Amerikaner und wir Europäer haben in nächster Zeit mit den Chinesen viel zu klären. Peking muss seine Ankündigung, den eigenen Markt zu öffnen, spürbar umsetzen. Fragen des Schutzes geistigen Eigentums oder unternehmerischen Handelns ohne Joint-Venture-Zwang löst man nicht über Drohungen oder Zölle, sondern im Dialog.
Das ist ja auch Ihr Ansatz im Verhältnis zu den USA. Aber funktioniert das tatsächlich mit einem unberechenbaren Präsidenten wie Trump?
Aus seiner Denkweise hat er nie einen Hehl gemacht. Man muss nur seine Bücher lesen oder das berühmte „Playboy“-Interview von 1990. Ich habe kein Problem damit, wenn der US-Präsident nationale Interessen selbstbewusst vertritt. Doch „America first“ heißt bei Trump fast immer „America only“. Für ihn ist die Welt eine Arena, in der es immer einen Sieger und einen Verlierer gibt. Welch Irrtum: Wirtschaft ist kein Nullsummenspiel.
Nun ist Mexiko das Gastland bei der Hannover Messe. Welche Sorgen verbinden uns mit den Mexikanern?
Die Mexikaner sind unsere Brüder im Geiste, wenn es um Freihandel geht.
Am Bau der Mauer zu Mexiko hält Trump fest.
Das ist reine Symbolpolitik. Man kommt an den Fakten nicht vorbei. Ein Kongressabgeordneter aus Arizona, ein Republikaner wohlgemerkt, sagte jüngst in größerer Runde: Sollte der Präsident die Mauer wirklich bauen, wird die Arbeitslosigkeit in seinem Wahlbezirk um 14 Prozent zunehmen. Aus seinem Landstrich fahren jeden Tag 65.000 Berufspendler nach Mexiko. Das ist die Realität.
Was kann Europa von den Mexikanern lernen?
Mexiko ist ein wichtiger strategischer Partner und ein Paradebeispiel für globalisiertes Wirtschaften. Der amerikanische Präsident erweckt immer den Eindruck, Lieferketten würden nur in eine Richtung funktionieren. Mexiko zeigt, dass das Gegenteil stimmt. Die wichtigsten Absatzmärkte für US-Warenexporte sind die Nachbarn Kanada und Mexiko.
Deutschland befindet sich nun im neunten Aufschwung-Jahr. Droht bald eine Konjunkturdelle?
Im Moment gibt es keine Anzeichen dafür. Wir gehen von einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von zweieinviertel Prozent im laufenden Jahr aus.
Und wenn Strafzölle kommen?
Soweit darf es nicht kommen. Wenn sich die USA und die EU wirklich Zölle um die Ohren hauen, gefährdet das Deutschland als drittgrößte Handelsnation ganz besonders.
Was ist die richtige Antwort auf Trumps Steuerreform?
Die Reform hat einen Steuerwettbewerb eröffnet. Wir Deutschen müssen aufpassen, dass wir jetzt nicht zum Hochsteuerland werden. Bei uns ist die Unternehmensbesteuerung deutlich höher als in vergleichbaren Wirtschaftsnationen. Ganz besonders gilt das für den Mittelstand, der in der Regel Einkommensteuer bezahlt.
Was folgt daraus?
Die einfachste Lösung ist die Komplett-Abschaffung des Soli. Aber dazu ist die Große Koalition nicht bereit. Der Ausstieg aus dem Solidaritätszuschlag wird verkompliziert und aufgeschoben. Viele Unternehmen müssen ihn weiterzahlen. Vorzuwerfen ist der Koalition, auf eine steuerliche Förderung für Forschung und Entwicklung in Unternehmen zu verzichten. Überlegungen dazu stehen unter Finanzierungsvorbehalt. Angesichts gigantischer Steuermehreinnahmen ist das ein Witz.
Die GroKo meint es nicht gut mit Deutschlands Wirtschaft?
Diese Koalition tut sich schwer mit der Wirtschaft. Die guten Jahre verdanken wir nicht der Politik, sondern vor allem dem niedrigen Ölpreis, den geringen Zinsen und günstigen Wechselkursen. Aber das bleibt nicht ewig so. Der globale Wettbewerb wird härter, die Digitalisierung erfordert massive Investitionen. Deutschland muss die Grundlagen für künftigen Wohlstand schaffen, bevor ihn die Politik großzügig verteilt. Da muss die Große Koalition liefern.
„Made in Germany“ – das ist bei einer Industriemesse in Deutschland immer das große Thema. Wie verfolgen Sie die Debatte über Fahrverbote und den Diesel als Auslaufmodell?
Manipulationen durch illegale Abschaltsoftware sind inakzeptabel und unentschuldbar. Das müssen die verantwortlichen Hersteller auf eigene Rechnung aus der Welt schaffen. Richtig ist auch, dass Betrug künftig durch neue Verfahren ausgeschlossen ist. Leider ist die Debatte über den Diesel geprägt von Aktionismus und Einseitigkeit. Doch für mich ist alles andere als klar, dass das batteriebetriebene Elektroauto die Lösung ist. Es wäre fatal, wenn sich die Politik auf eine Technologie festlegen würde.
Was sagen Sie wütenden Diesel-Besitzern, deren Fahrzeuge an Wert verlieren und die jetzt Fahrverbote fürchten müssen?
In unseren Unternehmen gibt es über 3,8 Millionen Diesel-Fahrzeuge. Ich verstehe den Ärger und die Wut: Gerade wenn es um Autofahrer geht, die sich vor kurzem noch ein als emissionsarm geltenden Euro-5- oder Euro-6-Diesel gekauft haben. Doch um bei den Fakten zu bleiben: In absehbarer Zeit werden die einschlägigen Grenzwerte für Stickoxid nur in einigen Städten noch überschritten werden. Deshalb halte ich von einer bundesweiten blauen Plakette nichts. Auch Hardware-Nachrüstungen sind kurzfristig nicht umzusetzen.
Thema Europa – wird die Dimension möglicher Brexit-Folgen immer noch unterschätzt?
Die Briten haben entschieden – und auch die Regierung in London hat sich festgelegt. Das müssen wir akzeptieren. Es geht jetzt nur noch um Schadensbegrenzung. Wir bereiten unsere Unternehmen auch auf „Worst-case“-Szenarien vor. Denn schon jetzt zeigen sich Friktionen: UK ist abgerutscht auf Platz 5 unserer Handelspartner. Mit der Festlegung des Übergangszeitraums ist immerhin ein erster Schritt getan worden. Jetzt muss entschlossen an einem möglichst umfassenden Zoll- und Handelsabkommen gearbeitet werden.
Trauen Sie Angela Merkel und Emmanuel Macron zu, Mehrheiten für eine grundlegende Reform der Europäischen Union zu organisieren?
Es ist wichtig, dass die neue Bundesregierung das Thema EU schneller und mutiger angeht. Das Zeitfenster schließt sich. Es lohnt sich, Macrons Vorschläge im Detail anzuschauen. Die Eurozone benötigt einen schlagkräftigen und rasch handlungsfähigen Europäischen Währungsfonds für ein wirksames Krisenmanagement. Natürlich kann man über einen europäischen Finanzminister nachdenken – aber nicht um den Preis neuer Steuern. Bevor wir Risiken mit anderen teilen, müssen Risiken erstmal minimiert werden.
Von Rasmus Buchsteiner und Jean-Marie Magro/RND
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