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Lieber in die Wirtschaft

Hei ru yu na mi ta yu re Lieber in die Wirtschaft

Ulm. Iris Huber steht sich an diesem Samstag den dritten Tag in Folge die Beine in den Bauch. Auf der Ulmer Bildungsmesse, der nach eigenen Angaben größten im ganzen Land, versucht die Mitarbeiterin der Zentralstelle Ausbildung der Stadt Ulm Nachwuchskräfte für eine Karriere bei der Stadtverwaltung zu begeistern. Keine einfache Aufgabe: Um sie herum buhlen über 250 andere potenzielle Arbeitgeber um die Gunst von jungen Menschen. Erzieher, Straßenwärter, Informatiker oder Verwaltungsfachangestellte – Bewerber für die freien Stellen im Ulmer Rathaus sind rar. „Vor allem bei den technischen Berufen haben wir großen Personalbedarf“, sagt Huber.

So geht es nicht mehr nur großen Städten wie Ulm. „Inzwischen ist der Fachkräftemangel auch im Schwarzwald und in Hohenlohe angekommen“, sagt Harald Burkhart. Der Referent für Personalwesen beim Gemeindetag sieht vor allem in zwei Berufsgruppen großen Mangel: Erziehung und Bau. Gerade im Baubereich hätten Städte und Gemeinden „keine Chance mehr“ an Mitarbeiter zu kommen. In den Amtsstuben im Land fehlen zahlreiche Bauingenieure, Architekten und Planer. Die Ursache liegt aus Sicht von Burkhart vor allem in der guten Konjunktur im Baugewerbe. „Früher konnten die Kommunen in schlechten Zeiten wieder Mitarbeiter aus der Baubranche zurückgewinnen“, sagt er. Inzwischen herrsche aber seit Jahren ein regelrechter Boom.

Warum die begehrten Fachkräfte lieber in die Wirtschaft gehen? „Das hat monetäre Gründe“, sagt Burkhart. Mit den normalen Tarifgehältern im öffentlichen Dienst könne man im Wettbewerb um Fachkräfte „nicht mithalten“. Dem stimmt auch Nathalie Behnke zu. „Der öffentliche Dienst hat ein Attraktivitätsproblem“, sagt die Verwaltungswissenschaftlerin von der Universität Konstanz. Neben den Gehältern seien auch mangelnde Karrierechancen ein Grund, sich gegen eine Verwaltungskarriere zu entscheiden. „Aufstieg ist nicht erkennbar an Leistung gekoppelt“, sagt die Professorin. Vielmehr seien abgesessene Dienstjahre ausschlaggebend für eine Beförderung.

Offizielle Zahlen zu unbesetzten Stellen in der öffentlichen Verwaltung gibt es nicht. Die Unternehmensberatungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) schätzt aber, dass bis 2030 rund 231 000 Verwaltungsfachkräfte in Deutschland fehlen werden. „Der Personalmangel, den wir heute haben, ist gegenüber der Situation in rund zehn Jahren lächerlich“, prognostiziert auch Behnke. Die Verwaltungswissenschaftlerin prophezeit, dass der demografische Wandel die öffentliche Verwaltung besonders hart treffen wird.

Aus zwei Gründen: Zum einen habe man in Baden-Württemberg versucht, mit der Verwaltungsstrukturreform im Jahr 2005 Personal einzusparen. „Das hat erstaunlich gut funktioniert“, sagt Behnke. Jahrelang seien durch Pensionierung frei werdende Stellen nicht mehr mit jungen Fachkräften nachbesetzt worden. „Man hat sich an den Rand der Handlungsfähigkeit gespart“, sagt die Professorin. Zum anderen stünden Rathäuser, Landratsämter und Regierungspräsidien vor einer großen Pensionierungswelle. Laut Statistischem Landesamt waren im vergangenen Jahr 26 Prozent der Beschäftigten im kommunalen Bereich 55 Jahre und älter. In den kommenden 10 bis 15 Jahren wird also über ein Viertel der Mitarbeiter in Rente gehen.

Die Gewerkschaft Verdi plädiert dafür, dem Mangel nicht nur mit Werbekampagnen zu begegnen. „Teilweise wäre es sinnvoller, das Geld in Ausbildung zu investieren“, sagt Hanna Binder, stellvertretende Landesbezirksleiterin. Oder in die Erhöhung der Gehälter. „Es gibt Menschen, die verdienen in der privaten Wirtschaft 1000 Euro mehr pro Monat als im öffentlichen Dienst“, sagt sie. Auch könnten die Kommunen durch andere Anreize versuchen, die Stellen attraktiver zu gestalten. Verdi fordert zum Beispiel, dass Beschäftigte ein kostenloses ÖPNV-Ticket erhalten. „Für viele Städte wäre das sehr einfach zu realisieren, da sie den Nahverkehr oft selbst betreiben“, erklärt die Gewerkschafterin.

Krisensicher und flexibel

Harald Burkhart plädiert dafür, die Vorteile des öffentlichen Dienstes stärker herauszustellen. Zum Beispiel die Möglichkeit zu flexiblen Arbeitszeiten. „Da sind Privatunternehmen oft noch nicht so weit wie die Verwaltung“, sagt der Referent des Gemeindetags. Diesen Ansatz empfiehlt auch Verwaltungswissenschaftlerin Behnke. Die Forschung habe festgestellt, dass die jüngere Generation nicht mehr so stark aufs Gehalt schaue. „Da ist ein sicherer Arbeitsplatz und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtiger“, sagt Behnke.

Auf diese Argumente für eine Verwaltungskarriere setzt auch die Stadt Ulm. Mit hohem Aufwand, einem halben Jahr Drehzeit und einem professionellen Sprecher hat man einen neuen Imagefilm drehen lassen, der alles andere als verstaubt wirken soll. Auf der zugehörigen Website werden potenzielle Auszubildende mit Greifbarem gelockt: Krisensichere Arbeitsstelle, vergünstigte Tickets für Nahverkehr, Theater oder Hallenbad und „viele Dinge mehr“.

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