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Das nächste Leak

Die Paradise Papers bringen Politiker, Prominente, Superreiche und Konzerne in Erklärungsnot - schon wieder.

Noch immer rollen die letzten Wellen der im April 2016 publizierten Panama Papers heran, fast wöchentlich gibt es dazu Neuigkeiten: In Deutschland werden Banken durchsucht, in Kolumbien gibt es Verhaftungen, in Pakistan sieht der wegen der Panama Papers geschasste Premierminister einer Anklage entgegen. Und jetzt kommt schon das nächste Leak: die Paradise Papers. Genauer gesagt ist das neue Datenleck aus den Steuerparadiesen dieser Welt nicht nur ein Leck, sondern es sind mehrere.

Der Süddeutschen Zeitung wurden vertrauliche Dokumente zweier Firmen zugespielt, die sich auf Dienstleistungen rund um Briefkastenfirmen spezialisiert haben: die auf den Bermudas gegründete Anwaltskanzlei Appleby und die kleinere Treuhandfirma Asiaciti Trust mit Hauptsitz in Singapur. Zum anderen hat die SZ die internen Daten der Firmenregister von 19 Steueroasen erhalten, etwa von den Bermudas, den Cookinseln oder Malta. Die Paradise Papers bestehen also aus Daten, die sich aus 21 unterschiedlichen Quellen speisen.

Die Unterlagen lassen - erneut - in eine Welt blicken, die speziell für die Bedürfnisse der Großkonzerne, der Reichen und Superreichen zugeschnitten wurde. So birgt allein der Familientrust eines US-Großinvestors das unglaubliche Vermögen von 7,2 Milliarden US-Dollar. Aus Gründen des Quellenschutzes macht die SZ keine Angaben dazu, wie die Daten die Zeitung erreicht haben, wer sie übermittelt hat und wann sie übergeben wurden. Aber die Botschaft ist klar: Nichts ist mehr sicher im Offshore-Geschäft. Kein korrupter Politiker, kein Großkonzern, kein Sanktionsbrecher, kein Steuerhinterzieher, keine willige Bank kann weiter hoffen, dass unsaubere Geschäfte dort bleiben, wo sie eigentlich hinsollen: im Verborgenen. Das ist die Essenz der Datenlecks oder "Leaks" der vergangenen Jahre.

Die insgesamt rund 13,4 Millionen Dokumente der Paradise Papers zeigen, wie weit verbreitet die Nutzung von Steueroasen noch immer ist. Sie belegen bisher unbekannte Verbindungen eines Ministers aus Donald Trumps Kabinett zu russischen Oligarchen; insgesamt finden sich sogar mehr als ein Dutzend Berater, Kabinettsmitglieder und Großspender von Donald Trump in den geleakten Daten. Die Dokumente belegen, dass Konzerne wie Nike, Apple, Uber oder Facebook ihre Steuern auf lächerlich geringe Sätze schrumpfen lassen, sie offenbaren Anlagen in Steueroasen der britischen Königin, des Rockstars Bono, oder von Stephen Bronfman, dem Spendensammler des kanadischen Premiers Justin Trudeau.

Überhaupt, die politische Elite: Mehr als 120 Politiker aus beinahe 50 Ländern sind in den Daten zu finden. Das Versprechen der Offshore-Industrie ist die Geheimhaltung. Briefkastenfirmen machen es meist schwer, und manchmal unmöglich, die Spur zu ihren wahren Eigentümern zu verfolgen. Solche Briefkastenfirmen zu nutzen, ist nicht von vorneherein illegal - die Verschwiegenheit macht diese Firmen aber attraktiv für Verbrecher, Kleptokraten und andere, die Vermögen anhäufen, das sie nicht mit ihrem Namen verbunden haben wollen. Gleichzeitig sind Briefkastenfirmen - ohne Angestellte oder Büroplatz - beliebte Mittel, um Strukturen zur Steuervermeidung aufzubauen. Dadurch entgehen den Volkswirtschaften Milliarden an Steuern - die an anderen Stellen fehlen, etwa um Krankenhäuser instand zu halten, Schulen auszustatten oder Straßen sicherer zu machen. Wen man im Leak kaum oder gar nicht antrifft: Menschen, die normal oder wenig verdienen. Die Profiteure des Systems sind all jene, die es sich leisten können und wollen, an dieser Parallelwelt teilzuhaben.

Die Offshore-Industrie mache die Armen ärmer und vertiefe die Vermögensungleichheit, sagt Brooke Harrington, Professorin in Kopenhagen und Autorin des Buches "Kapital ohne Grenzen: Vermögensmanager und das eine Prozent". Das System der Steueroasen ermögliche es nicht nur, Steuern zu vermeiden, sondern auch, Gesetze zu umgehen, die Reichen nicht passen. So könnten ausgerechnet Menschen mit viel Geld "die Wohltaten der Gesellschaft" genießen, ohne ihren Zwängen unterworfen zu sein: "Für die Superreichen gibt es eine Welt außerhalb des Rechts."

Nicht nur der Name Paradise Papers klingt ähnlich wie jener der Panama Papers, auch die Umstände sind es. Erneut ist ein Datenwust aus der Welt der Briefkastenfirmen bei der Süddeutschen Zeitung gelandet, erneut hat die SZ diese Daten mit dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) in Washington D.C. geteilt. Und abermals arbeitete ein internationales Team von Reportern rund ein Jahr lang daran, die besten Geschichten herauszufiltern. Zu den beteiligten Medien gehören die New York Times, der Guardian, die BBC, Le Monde oder La Nación. Insgesamt arbeiteten mehr als 380 Journalistinnen und Journalisten von 96 Medien aus 67 Ländern mit, in Österreich waren es der ORF und die Wiener Wochenzeitung Falter, in der Schweiz der Tages-Anzeiger und die Sonntagszeitung, in Deutschland neben der SZ auch der Norddeutsche Rundfunk (NDR) sowie der Westdeutsche Rundfunk (WDR).

Das Team überprüfte die Echtheit der Dokumente anhand zahlreicher Quellen - öffentlich zugängliche Firmenregister, Archive, Gerichtsunterlagen, Material aus früheren Leaks, persönliche Kontakte zu Steuerexperten, Anwälten, Ermittlern und Behörden. In Deutschland führen die Spuren zu rund tausend Kunden, Begünstigten oder anderweitig Involvierten - was nicht heißt, dass man ihnen damit automatisch rechtliches oder moralisches Fehlverhalten unterstellen kann. Unter den Offshore-Nutzern sind Milliardäre, Adelige, Unternehmer, Erben, Investoren, verurteilte Betrüger und ehemalige Politiker, aber auch Firmen wie Sixt, die Deutsche Post oder die Hotelkette Meininger, Siemens, Allianz, Bayer oder die Deutsche Bank. Die SZ veröffentlicht nur jene Fälle, an denen ein öffentliches Interesse offenkundig ist.

Die Dokumente belegen zum Beispiel, wie der deutsche Spielotheken-Betreiber Paul Gauselmann die Welt des Online-Glücksspiels erobert. Er verdient damit an einem Geschäft im Netz, das staatlicher Regulierung faktisch entzogen ist. Den Grundstein dafür legte er in der Steueroase Isle of Man. Ein Großkunde der Kanzlei auf den Bermudas ist die Milliardärsfamilie Engelhorn. Im vergangenen Jahr hat ein Steuerverfahren gegen zwei Töchter des 2016 verstorbenen Pharma-Unternehmers Curt Engelhorn zu einer Nachzahlung von 145 Millionen Euro geführt - damit ist es die wohl größte Steuerstrafsache, die je in Deutschland aufgearbeitet wurde. In den Daten finden sich Dutzende Trusts, die der Familie Engelhorn zuzurechnen sind - darunter solche, von denen die deutschen Steuerbehörden nach Informationen von SZ, NDR und WDR nichts wussten, als sie sich mit der Familie auf eine Nachzahlung einigten.

Die kompliziertesten Vorgänge betreffen oft die Steuerkonstruktionen multinationaler Konzerne. Dem US-Sportartikelhersteller Nike etwa gelingt es, durch Offshore-Firmen und mithilfe von Appleby seine weltweite Steuerquote auf nur mehr 13,2 Prozent zu drücken. Auch der Taxi-Konkurrent Uber, der Social-Media-Riese Facebook und der Haushaltsgerätehersteller Whirlpool waren Kunden der Kanzlei. Die Paradise Papers enthüllen auch, nach welchen Kriterien der Computergigant Apple eine neue Steueroase für seine Geschäfte suchte: Es sollte ein Land sein, das wenig Transparenz und Steuern verlangt und in dem offenkundig keine lästige Opposition diese Großzügigkeit gegenüber dem iPhone-Hersteller rückgängig machen könnte, wenn sie an die Regierung käme.

"Offshore ist nicht nur ein Ort, eine Idee, eine Art, Dinge zu erledigen, oder auch eine Waffe der Finanzindustrie", schreibt der britische Steueroasen-Experte Nicholas Shaxson. "Es ist auch ein Prozess: Ein Abwärtswettlauf, dorthin, wo die Regeln, Gesetze und äußeren Zeichen der Demokratie Stück für Stück abgetragen werden." Eine ganze Reihe internationaler Rohstoffhändler nutzen die Offshore-Welt, gemeinsam mit global agierenden Investoren. Die Geschäfte mit der Dritten Welt laufen oft zu verdächtig günstigen Konditionen. Ein solches Beispiel belegen die Daten dieses Leaks im Detail - es geht um den Schweizer Rohstoffkonzern Glencore. Die Rekonstruktion des Ringens um Minenlizenzen wecken den Verdacht, dass im Zuge der Verhandlungen einer oder mehrere kongolesische Politiker oder Beamte bestochen wurden.

US-Handelsminister Wilbur Ross ist über diverse Fonds auf den Kaimaninseln an einer Reederei beteiligt, die wiederum einen russischen Energiekonzern zu ihren größten Kunden zählt. Diese Verbindung von Ross zu Russland könnte einen Interessenkonflikt darstellen; sie war dem US-Senat offenbar nicht bekannt, als der Ross Anfang des Jahres für das Ministeramt bestätigte. In Kanada finanzierte Stephen Bronfman, ein enger Vertrauter von Premierminister Trudeau, zeitweise einen dubiosen Trust auf den Kaimaninseln.

Selbst die Queen hat sich in eine Steueroase verirrt. Jedenfalls wurde ihr Geld dort angelegt, und es landete dann in einer Kaufhauskette, die armen Briten Wucherzinsen abverlangt. Der Musiker Bono, bürgerlich Paul Hewson, investierte in ein Einkaufscenter in Litauen, über Firmen in den Steuerparadiesen Malta und Guernsey.

Unter den Nutzern der Offshore-Welt sind auch mindestens zwei Großspender des ICIJ. Investor George Soros verwaltete über Appleby ein Netz von Offshore-Firmen, etwa auf den Britischen Jungferninseln oder auf den Bermudas. Ebay-Gründer Pierre Omidyar ist Direktor einer Kaiman-Firma, die ein Investmentvehikel für seinen Trust ist.

Auch der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte eine Leitungsfunktion bei einer Offshore-Firma. Er war 2009 sogenannter "unabhängiger Aufsichtsrat" des russisch-britischen Energieunternehmens TNK-BP. Das Joint Venture zwischen der britischen BP- und der russischen Alfa-Gruppe hat seinen Sitz auf den Britischen Jungferninseln. Obwohl Schröders Partei, nicht nur unter dem früheren Finanzminister Peer Steinbrück, seit Jahren vehemente Attacken auf Steueroasen reitet, hat sich an Schröders Tätigkeit bei dem Offshore-Unternehmen bislang niemand erkennbar gestört; wer davon hätte wissen wollen, hätte es freilich seit Jahren wissen können, da die Informationen öffentlich zugänglich sind. Im Rahmen ihrer Funktion bei TNK-BP benötigten Schröder und zwei weitere Aufsichtsräte den Rat der Kanzlei Appleby - "wegen bestimmter prozeduraler Firmenangelegenheiten unter dem Recht der Britischen Jungferninseln", wie es in der E-Mail eines Londoner Anwalts im Oktober 2011 hieß. Aufgrund eines Konflikts mit einem anderen Mandanten erteilte Appleby den Rat jedoch nicht. Wenig später, im Dezember 2011, trat Schröder - der sich zu diesen Vorgängen nicht äußern will - von dem Posten zurück. 2013 wurde TNK-BP von dem russischen Öl-Riesen Rosneft übernommen, wo Schröder vor wenigen Wochen zum Aufsichtsratschef ernannt wurde.

Die meisten Daten in den Paradise Papers, fast sieben Millionen Dateien, stammen von der erwähnten Kanzlei Appleby, einer der führenden Kanzleien für Offshore-Geschäfte. Die geleakten Unterlagen belegen, dass die Firma Risikokunden aus dem Iran, Russland und Libyen angenommen hat, wiederholt von staatlichen Prüfern wegen mangelhafter Anti-Geldwäsche-Vorkehrungen gerügt und mit Strafzahlung belegt wurde. Nachdem SZ und ICIJ Appleby mit den Recherchen konfrontiert hatten, veröffentlichte die Firma eine Stellungnahme. Darin ist die Rede von einem "illegalen Cyberangriff". Außerdem spricht die Kanzlei von "unbegründeten Vorwürfen" und sagt, es gebe "keinen Beweis für Fehlverhalten".

Auch die Regierung der Isle of Man - eine der betroffenen Steueroasen - ging nach einer Anfrage der Recherche-Kooperation an die Öffentlichkeit und lud das britische Finanzministerium ein, die Praxis, beim Import von Geschäftsflugzeugen in die EU mitunter die Mehrwertsteuer zurückzuerstatten oder zu erlassen, zu überprüfen. Durch den Steuertrick sollen anderen Ländern hunderte Millionen an Steuern verloren gegangen sein.

Die Paradise Papers enthalten auch die internen Daten der Firmenregister etlicher Steueroasen in der Karibik, dem Pazifik und aus Europa.

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