Die Politik hat sich viel zu lange der Wirtschaft untergeordnet und von Lobbys beeinflussen lassen - auch in der Diesel-Debatte. Es entsteht der Eindruck, die Wirtschaft regiere. Dem müssen Politiker entgegentreten, findet SWR-Hauptstadtkorrespondent Uwe Lueb.
Ein bisschen mehr Mut täte gut. Mut der Politik, das zu tun, was sie tun soll: regieren - zum Wohle des Volkes. Nun kann man dieses Wohl unterschiedlich interpretieren. Zum Beispiel: An erster Stelle stehen die Menschen, dem muss sich die Wirtschaft unterordnen. Oder: Je besser es der Wirtschaft geht, desto besser für die Menschen.
Letzteres findet anscheinend VW-Chef Matthias Müller, wenn er sagt, echte technische Umbauten - genannt Hardwarenachrüstung - seien "zu teuer". Unausgesprochen findet er vermutlich auch Entschädigungen für geprellte Diesel-Käufer "zu teuer".
Zu viel "Einbahnstraße"
Verantwortliche Politiker sehen das offenbar genauso. Warum sonst nehmen sie jahrelang katastrophale Luftwerte etwa am Stuttgarter Neckartor hin, die auch auf Diesel-Fahrzeuge zurückzuführen sind? Das ist Kuschen der Politik vor der Wirtschaft.
Ein Grund dafür ist sicher zu viel "Einbahnstraße": Ex-Politiker wechseln freudig in die Wirtschaft und nutzen ihr Wissen dort. Sie heißen zum Beispiel Gerhard Schröder, Joschka Fischer, Eckart von Klaeden, Hildegard Müller oder Ronald Pofalla. Wie viele Wirtschaftslenker haben sich umgekehrt um ein Bundestagsmandat beworben? Und wie lange hat es gedauert, bis die Politik Regeln für den Wechsel in die Wirtschaft geschaffen hat - Stichwort Karenzzeit?
Regierende haben sich zu lange zu sehr vereinnahmen lassen. Sicher, das Argument Arbeitsplätze ist ein triftiges, immer. Es geht aber nicht darum, Firmen zu knebeln oder gar kaputt zu machen. Es geht um das Interesse der Menschen, dass man sie nicht über den Tisch zieht oder sogar ihre Gesundheit gefährdet.
Wenn Lobbyisten Gesetze schreiben
Das gilt für Diesel-Autos ebenso wie für neue teure Medikamente mit altbekanntem Wirkstoff, die teils in den Markt gedrückt werden wie neue Limonaden-Marken. Und das gilt ebenso für Steuerbetrug in geschätzter Milliardenhöhe, der unter Cum-Ex bekannt geworden ist. Hier hat eine Anwaltskanzlei tüchtig an Gesetzen mit gestrickt, obwohl man in den Ministerien genug Sachkompetenz vermuten darf.
Immer wieder wirken beteiligte Interessengruppen mit. Die gewählten Regierenden lassen sich da in unserem Namen erstaunlich viel bieten - und tun dagegen wenig! Man denke nur an das jahrelange Gezerre um ein Lobbyregister. Inzwischen gibt es eins, verpflichtend ist es aber nicht. Aufgelistet werden vor allem Verbände. Einzelpersonen wie Anwälte einflussreicher Kanzleien tauchen nicht auf.
Land und Gewerkschaften nutzen Kontrollrechte bei VW nicht
Auch an anderer Stelle sind Politik und Wirtschaft in schwieriger Allianz verbunden. So sitzt bei VW der Staat über das Land Niedersachsen mit im Boot. Über den Aufsichtsrat haben das Land und die Gewerkschaft IG Metall umfassende Kontrollrechte. Genutzt haben sie die offenbar nicht. Der Dieselskandal wurde nämlich von einer amerikanischen Umweltbehörde aufgedeckt.
Die Politik muss aber ihre Möglichkeiten nutzen. Dafür brauchen wir mehr Transparenz, auch bei den Parteien selbst. Was spricht dagegen, Parteispenden grundsätzlich zu veröffentlichen und nicht erst ab einer bestimmten Höhe? Oder sie ganz zu verbieten - denn natürlich erhoffen sich Spender etwas von ihrer Gabe.
Mehr Transparenz
Was spricht dagegen, bei jedem neuen Gesetz zu sagen, welche Experten welcher Verbände dazu angehört wurden oder sogar konkret daran mitgewirkt haben? Natürlich soll und muss auch die Wirtschaft auf ihre Interessen hinweisen - aber bitte nicht im Geheimen und in Hinterzimmern.
Was also spricht insgesamt gegen eine klare Sprache der Politik gegenüber der Wirtschaft? Nichts. Firmen gehen nicht in die Knie, wenn sie sich an Gesetze und Vorschriften halten. Die gelten nämlich üblicherweise für alle. Einen Wettbewerbsnachteil stellen sie also nicht dar und damit auch keine Gefahr für Jobs. Abgesehen davon: Die Profite der großen Konzerne landen meistens in den Taschen der Aktionäre - für unternehmerische Entscheidungen scheint das oft wichtiger zu sein als Arbeitsplätze.
Gewählte Politiker sollten sich daher stark machen und sich vom "Jobargument" nicht blenden lassen. Sie dürfen sich nicht länger auf der Nase rumtanzen lassen, sondern sollten sich frei machen von Einflussnahme. Sonst setzt sich der Eindruck fest, den viele ohnehin schon haben: dass in Wahrheit die Wirtschaft regiert. Dem müssen Politiker entgegentreten - entschieden und mutig. Zum Wohle des Volkes.
Von SWR-Hauptstadtkorrespondent Uwe Lueb | Online: Sola Hülsewig
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