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Langzeitarbeitslose gefangen auf der Schulbank

Ähnlich sieht es Stefan Sell, Professor für Sozialpolitik an der Hochschule Koblenz: Er kritisiert, dass Jobcenter noch zu viele Arbeitslose in kurzfristige Maßnahmen steckten, ohne auf die Vorkenntnisse der Teilnehmer zu achten. "Da drücken in einem Kurs über Online-Bewerbungen neben einem Akademiker Menschen die Schulbank, die kaum Deutsch können."

Sell empfiehlt stattdessen nach der Devise vorzugehen: "Weniger, aber mehr, das lohnt sich." Also statt Arbeitslose womöglich noch gegen ihren Willen und mehrmals in vierwöchige oder zwei, drei Monate lange kurzfristige Maßnahmen zu verschieben, lieber in langfristige Weiterbildungskurse zu investieren. Denn die steigern auf jeden Fall die Jobaussichten, vor allem, wenn sie in einem Betrieb stattfinden oder am Ende mit einem beruflichen Abschluss verbunden sind.

Das zeigen auch die Untersuchungen der Denkfabrik der BA: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) fand anhand der Lebensläufe von Hartz-IV-Empfängern heraus, dass Weiterbildungen von über einem Jahr, in der Regel Umschulungen, viel besser wirken als solche kürzerer Förderdauer. Wer eine lange Weiterbildung absolvierte, hatte später mit einem Job im Durchschnitt mehr als 400 Euro mehr Lohn als ein Nichtteilnehmer. Der Anteil, der danach eine Arbeit fand, war - je nachdem, welcher Beruf erlernt wurde - um bis zu 20 Prozent höher.

Nur, nicht jeder Arbeitslose schafft es überhaupt, zwei, drei Jahre durchzuhalten. Und oft bewilligen die Jobcenter auch nur kurzfristige Maßnahmen - für Sell ein Grundsatzproblem: "Die Jobcenter schrecken oft noch davor zurück, Arbeitslosen eine Weiterbildung zum Beispiel über zwei Jahre zu genehmigen, weil sie dann Mittel so lange binden." Außerdem könnten sie mit kürzeren Kursen mehr Teilnehmer durchschleusen - mit dem Nebeneffekt, dass mehr Menschen in der Zeit der Schulung nicht als arbeitslos gemeldet sind und die Statistik schöner aussieht.

1,2 Millionen

So viele Teilnehmer zählte die Bundesagentur für Arbeit (BA) 2015 in "Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung". Zugleich verteilte die BA bundesweit fast 230 000 "Aktivierungs- und Vermittlungsgutscheine". Damit können Arbeitslose zu einem privaten Träger gehen, um sich fördern zu lassen. 2017 kann die Bundesagentur mehr als vier Milliarden Euro für diverse Programme lockermachen, um Arbeitslose zu schulen und so ihre Chancen für einen Job zu verbessern. 2016 wurden allein für die berufliche Weiterbildung in der Arbeitslosenversicherung 2,18 Milliarden Euro ausgegeben. Im Hartz-System waren es fast 600 Millionen.

Auch Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte am Institut der deutschen Wirtschaft, sieht noch Defizite: Im Hartz-IV-System gebe es "eine Unterfinanzierung bei der Weiterbildung", kritisiert er. Unter der früheren schwarz-gelben Regierung waren die Mittel für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen um etwa drei Milliarden Euro gekürzt worden, ohne dass die schwarz-rote Regierung das Budget wieder aufstockte. Dass hier gekürzt worden sei, hält Schäfer für teilweise richtig, etwa bei den Ein-Euro-Jobs. Es sei aber versäumt worden, im Gegenzug die Weiterbildung zu stärken.

Bei einem Zusatzproblem geht es um eine Preisfrage: Lange war der Bundesagentur für Arbeit vorgeworfen worden, indirekt das Lohndumping bei den Seminaranbietern zu fördern. Bekommt nach wie vor nur der Billigste bei einer Ausschreibung den Zuschlag? Und kann günstig überhaupt gut sein? Nach wie vor werden Dozenten bei den Kursveranstaltern schlecht bezahlt. Oft sind es Solo-Selbständige, die froh um jeden Auftrag sind. "Wenn das Honorar mit Glück bei 15 Euro die Stunde liegt, ist die Frage, wie man da eine gute Leistung bekommen möchte", sagt die Leipziger Rechtsanwältin Luisa Milazzo.

Schäfer billigt den Arbeitsbehörden jedoch zu, bei der Vergabe von Aufträgen besser geworden zu sein. "Ich habe schon den subjektiven Eindruck, dass mehr als früher auf Qualität geachtet wird", sagt er. Auch BA-Kritiker Sell sieht hier "graduelle Verbesserungen", ihm fehlen aber "nachprüfbare Belege".

Irgendwann ist da nur noch Frustration

So oder so, für Arbeitslose wie Jonas Thomas kann jeder Kurs, jede Weiterbildung eine neue Phase der Hoffnung sein. Er hatte sogar eine Ausbildung zum Lokführer angefangen - die sind derzeit dringend gesucht. Geklappt hatte das nur, weil ihm Anwältin Milazzo einen Bildungsgutschein dafür erstritten hatte. Anfangs fand er das eine gute Idee. Doch auch das sei nicht gut gelaufen, oft seien Unterrichtsstunden ausgefallen, erzählt Thomas. Schließlich habe der Ausbildungsleiter gemeint, auch als Lokführer könne er aufgrund seiner Legasthenie nicht arbeiten. "All das macht mich so traurig", sagt er. "Da werden Steuergelder umsonst rausgeschmissen."

Thomas will nicht aufgeben, aber nicht selten sind Langzeitarbeitslose nach mehreren vergeblichen Anläufen und erfolglosen Schulungen so frustriert, dass sie tatsächlich schwer zu vermitteln sind - und kein Vertrauen zu den Vermittlern mehr haben.

"Da entsteht großer Schaden", sagt Diplom-Pädagoge Kratz. Anwältin Milazzo kennt dieses Phänomen: Was Maßnahmen angeht, sind die Arbeitslosen misstrauisch geworden - und lernen dann wenig. Milazzo hält es für schwierig, jemanden zu einer Teilnahme zu zwingen. "Ich glaube, man erreicht durch diesen Zwang das Gegenteil von dem, was man möchte", sagt sie. Die Anwältin hält es für besser, wenn die Betroffenen selbst dabei mitplanen, was sie leisten können und wollen.

Jonas Thomas sieht das genauso. Er wünscht sich ein Leben ohne Hartz IV und schreibt immer noch Bewerbungen. "Mehr kann ich auch nicht machen."

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