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Ab nach Hause mit den Arbeitsplätzen

Solche Beispiele wirken noch vereinzelt. Die Digitalisierung könnte die Konkurrenzsituation nun grundlegend zugunsten des Inlands verändern. In Bezug auf Kosten genauso wie auf das Tempo. Die neue Wilo-Pumpenfabrik soll bis zu 30 Prozent effizienter sein als die alte, wodurch sich in Dortmund günstiger fertigen lässt als im Ausland. Und Adidas stört der sechswöchige Schiffstransport aus Asien bei dem Ziel, dem Kunden Schuhe, deren Design er persönlich mitgestaltet, irgendwann binnen 24 Stunden zu liefern. Die Digitalisierung bringt Produktion zurück nach Deutschland, lautet das Fazit einer Studie der Hochschule Karlsruhe. Sie zählt schon 500 Rückverlagerungen pro Jahr, im Fahrzeugbau genauso wie bei Chemie, Optik und Elektronik.

Der Ökonom Werner Eichhorst vom Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn warnt trotzdem davor, vorschnell eine Trendwende ausrufen. Zurückgeholt wird die Fertigung nur unter bestimmten Bedingungen. Wenn Hersteller wie Wilo oder Märklin Premiumprodukte verkaufen. Wenn sie wirklich stark in die Digitalisierung investieren. Und selbst dann: Insgesamt verlagern noch deutlich mehr deutsche Firmen Fertigung ins Ausland als welche Produktion zurückholen, auch das zeigt die Karlsruher Studie.

An der neuen Adidas-Fabrik im fränkischen Brodswinden lässt sich gut erkennen, was sich in der digitalen Ära ändert - und was nicht. Die Schuh- und Textilindustrie war mit die erste, die aus Deutschland verschwand, schon in den 1970er Jahren. Städte wie Augsburg und Pirmasens litten darunter furchtbar. Die chice von Adidas, sie stellt nicht wieder massenhaft Schuster und Näherinnen ein. Die Hauptarbeit erledigen Roboter.

Unter den immerhin 200 Stellen, die es im Fränkischen werden sollen, sind viele für Wartungs- und Computerspezialisten vorgesehen. Die Digitalisierung bringt also nicht die einfachen Fabrikjobs von früher zurück. Aber sie schafft neue Stellen in der deutschen Industrie - höher qualifizierte.

Und andernorts sichert sie Stellen, so wie bei Pumpen-Wilo. Vorstand Michael Beukenberg kündigte an, wegen der neuen Fabrik bleibe es mittelfristig bei den 2000 Jobs in Dortmund. Solche Tendenzen könnten sehr viel bringen. Denn was ihre Industrie betrifft, hat die Bundesrepublik etwas zu verlieren. Deutschland erwirtschaftet 23 Prozent seiner Bruttowertschöpfung in der Industrie. Ein Spitzenwert, deutlich mehr als in Frankreich, Spanien oder Italien - oder im Durchschnitt der so genannten Industriestaaten: Dort liegt der Wert bei nur noch 14 Prozent.

Gerade traditionelle Branchen wie der Maschinenbau und der Mittelstand insgesamt scheinen dafür offen, Arbeitsplätze in Deutschland zu halten. Die neuen, digitalen Technologien könnten jetzt Jobs sichern, die sonst vielleicht abwandern.

Aber es werden eben andere Jobs sein. Informationstechniker und Serviceexperten statt Näherinnen und Bandarbeiter. Das heißt, dass es diese Arbeitsplätze in Deutschland nur in nennenswerter Form geben wird, falls die Beschäftigten dafür qualifiziert werden - oder qualifiziert, wenn sie schon lange dabei sind. Routinetätigkeiten, die nun Roboter übernehmen, müssen weiterentwickelt werden. Sonst stehen die heutigen Beschäftigten bald ohne Arbeit da.

Deutschland allerdings definiert Berufsfelder bisher oft eng, was gefährlich wird, wenn der Wind der Veränderung alles durcheinander wirbelt. "Wenn jemand mit seinem Abschluss seit 30 Jahren in der Branche ist, dann ist eine Weiterentwicklung oft kein Selbstläufer", sagt der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber. "Da ist auch die Politik gefragt". Der Anspruch auf eine Beratung zur Weiterbildung, den die neue große Koalition plant, ist da nur ein Anfang - dem noch viel mehr folgen muss.

Für eine Verlagerung sind allerdings noch andere Faktoren entscheidend

Falls das Thema Bildung und Qualifizierung in den üblichen Sonntagsreden versandet, werden das Millionen Deutsche teuer bezahlen. Weber glaubt nicht, dass die Digitalisierung automatisch die Produktion Richtung Deutschland schiebt. "Die Technologie erlaubt Individualisierung und Flexibilisierung der Produktion - wo auch immer. Es könnte also auch mehr Verlagerung geben."

Das bedeutet, die Digitalisierung kann zugunsten einer Fertigung im Inland wirken, gerade wenn Firmen auf Flexibilität und Tempo auf dem Weg zum Kunden setzen. Aber es muss nicht so sein. Wie sehr die neuen Technologien der Sicherung von Arbeitsplätzen dienen, hängt davon ab, wie die Bedingungen für die Wirtschaft in Deutschland insgesamt sind. Somit auch: Wie die Regierung diese gestaltet.

Es kommt also zum Beispiel darauf an, wie die nach langen Wehen entstehende Koalition in den nächsten Jahren agiert. Energiekosten begrenzen, Infrastruktur verbessern, zusätzliche Regulierungen vermeiden - die Wirtschaft formuliert eine ganze Menge Wünsche. Sorgen hat sie ebenfalls. Steigen die Arbeitskosten anders als zugesagt, weil Union und SPD teure Rentenversprechen geben? Und: Donald Trumps megalomane Steuersenkungen mögen auf Pump gebaut sein, doch sie verändern die Landschaft. Was die große Koalition etwa mit der steuerlichen Förderung von Forschung dagegen setzt, wirkt bisher überschaubar.

Falls allerdings an den Standortbedingungen gearbeitet wird, entwerfen Wirtschaftsvertreter wie Bertram Brossardt vom Verband vbw ein optimistisches Szenario, das die Interessen von Firmen wie Arbeitnehmern gleichermaßen wahrt. Darin wird der Strukturwandel mit mehr Dienstleistungen nicht gegen die Industrie gestaltet, sondern mit ihr. Mit dem Ziel einer wissensbasierten, ja doch:

Spinnt man diesen Gedanken weiter, gibt es in dieser Produktionsgesellschaft qualifizierte, gut bezahlte Arbeitsplätze in beiden Bereichen. Und es ist am Ende vielleicht gar nicht möglich, jeden dieser Jobs ganz präzise der Industrie oder den Dienstleistungen zuzuordnen. Darauf kommt es dann, in dieser ziemlich heilen Welt, auch nicht an.

Die Digitalisierung kann dazu einen zentralen Beitrag leisten, in dem sie Entwicklung, Marketing und Fertigung wieder stärker zusammenführt - selbst in einem Hochlohnland wie der Bundesrepublik. Allerdings sollte man nicht jeder Jubelposaune der Industrie-4.0-Propheten vertrauen. Damit dieser Trend auch den Arbeitnehmern etwas bringt, müssen Politiker und Unternehmen einiges tun. Und die Arbeitnehmer selbst auch.

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