Im System für das Recycling von Verpackungsmüll ist es zu einer Palastrevolution gekommen. Bisher sind zehn Betreiber so genannter Dualer Systeme dafür verantwortlich, die ordnungsgemäße Sammlung und Wiederverwertung der Verkaufsverpackungen aus Supermärkten und anderen Geschäften – von der weggeworfenen Käsefolie bis zur leeren Zahnpastatube – zu organisieren. In der Branche hatte sich massiver Ärger aufgestaut: Einige der Firmen werfen anderen vor, sich durch Mogeleien finanzielle Vorteile in Millionenhöhe zu verschaffen.
Jetzt ziehen die drei größten Systembetreiber die Notbremse. Sie scheren aus und gründen eine Art Parallel-Verbund. Nach Informationen der WELT haben die Dualen Systeme Interseroh, Der Grüne Punkt DSD und Belland Vision am Dienstag die bestehenden Verträge über eine gemeinsame Clearingstelle der Dualen Systeme gekündigt. Sie planen den Aufbau einer neuen, separaten Clearingstelle. Keines der beteiligten Unternehmen äußerte sich dazu. Die drei Firmen erreichen gemeinsam rund 65 Prozent Marktanteil.
Die Müll-Rebellen fürchten um die Stabilität des Systems. Es gehe um die „Sicherung der Kreislaufwirtschaft“, hieß es. Die Clearingstelle ist das zentrale Scharnier im komplexen deutschen System zur Entsorgung von Verpackungsmüll. Hier meldet jedes der zehn Dualen Systeme, welche Verpackungsmengen es z.B. bei Lebensmittelherstellern und Abfüllern unter Vertrag genommen hat und dementsprechend sammeln und verwerten lässt. Dabei geht es unmittelbar ums Geld, denn aus den Marktanteilen ergibt sich der Anteil der Kosten, die jedes Duale System für die von allen gemeinsam betriebene Logistik zu übernehmen hat. Sammlung, Transport und Verwertung erfolgen gemeinsam, weil es wirtschaftlich keinen Sinn ergäbe, zehn halb leere Müllautos durch Wohngebiete und Dörfer zu schicken.
Zugleich müssen Händler, Hersteller und Abfüller (Jargon: „Inverkehrbringer“) bei einem von den Industrie- und Handelskammern (DIHK) eigens geführten Register angeben, welche Verpackungsmengen sie auf den Markt geworfen haben – schließlich soll alles ordnungsgemäß wieder beseitigt werden. Eigentlich müssten beide Ziffern genau übereinstimmen. Tatsächlich jedoch klafft seit Jahren immer wieder eine riesige Lücke zwischen den Ziffern. 2015 fehlten - auf dem Papier der Clearingstelle - 224.000 Tonnen Leichtverpackungen. Der Verdacht: Einige Duale Systeme rechnen die Zahlen künstlich klein und drücken sich so um den fairen Anteil an den gemeinsamen Kosten.
Die Grünen stellten eine kleine Anfrage
Am Ende zahlen die Verbraucher die Rechnung. Die Dualen Systeme kassieren ein paar Cent Lizenzgebühr je Verpackung, die der Handel dann auf die Ladenpreise aufschlägt. Die Mini-Beiträge addieren sich zu einer Summe von jährlich rund 850 Millionen Euro. Dass die Lizenzgebühr bezahlt worden ist, erkennen Konsumenten an einem aufgedruckten Label wie beispielsweise dem „Grünen Punkt“.
Die Meldungslücken führten letzten Monat zu einer Kleinen Anfrage der Grünen im Bundestag. Das Kartellamt knöpfte sich den internen Finanzausgleich der Systeme im Frühjahr in einem formellem Abfrageverfahren vor. Doch die Warnungen kamen nicht an – zumindest nicht bei allen Systemen. Aus den Zahlen für 2016 ergibt sich nach jüngsten Angaben erneut eine Abweichung 210.000 Tonnen in den Mengen der Clearingstelle. Dies entspreche einem Schaden in Höhe von 60 Millionen Euro, sagte ein Insider.
Den drei großen Systemen geht jetzt die Geduld aus. Die Rede ist von „dreisten Tricksereien“. Die Kündigung der Verträge über die Clearingstellen werde zum Jahresende 2017 wirksam, erfuhr die WELT. In der Zwischenzeit errichten die drei Firmen mit einer neuen Clearingstelle ein separates System der Kostenverteilung, das besser gegen Manipulationen geschützt sein soll. Bisher seien beispielsweise Mengen gegenüber den DIHK-Aufpassern als Verkaufsverpackungen deklariert und später gegenüber der Clearingstelle als Transportverpackungen umdefiniert worden – denn diese fallen aus dem System heraus. ‚„Die neuen Verträge stellen sicher, dass Verpackungen vollständig gemeldet und abgerechnet werden“, sagte ein Kenner der Szene. Die Neugründung ist auch ein Versuch, einen Keil zwischen systemkonforme und unehrliche Firmen zu treiben. Ein Beteiligter wies darauf hin, dass jedes Duale System noch bis Ende August aus den Verträgen aussteigen könne. Dann werde man sehen, wer übrig bleibe.
Die Folgen des drastischen Schritts sind ungewiss. Es gilt als sicher, dass zwei parallele Logistiksysteme auf die Dauer nicht wirtschaftlich zu betreiben sind. Ohnehin tritt Anfang 2019 ein neues Verpackungsgesetz in Kraft, in dem eine neue „Zentrale Stelle“ vorgesehen ist. Disziplin und Kontrolle sollen sich damit deutlich erhöhen. Solange wollten die Rebellen in Sachen Verpackungsmüll aber nicht mehr warten.
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